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Zensur oder Schutz des Islam? Streit um Sendeverbot für umstrittene türkische TV-Serie

In der Türkei ist die weitere Ausstrahlung der Fernsehserie «Rote Knospen» von den Behörden gestoppt worden. Im dritten Teil der Serie hätte ein minderjähriges Mädchen mit einem islamischen Sektenführer verheiratet werden sollen. Konservative religiöse Kreise sehen sich durch die Serie verunglimpft, gegen die 32'000 Beschwerden eingegangen sein sollen. Der Journalist Thomas Seibert in Istanbul klärt über die Hintergründe auf.

Thomas Seibert

Journalist in der Türkei

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Thomas Seibert ist seit 1997 Korrespondent für den deutschen «Tagesspiegel» in Istanbul und berichtet auch für andere Medien, unter anderem für SRF.

SRF News: Wie kommt der Stopp der beliebten TV-Serie bei den Menschen in der Türkei an?

Thomas Seibert: Die einen sprechen von Zensur, die anderen finden die Entscheidung der Behörden richtig.

In der Serie geht es um eine Zwangsheirat – legt es die Serie auf Provokation der türkischen Gesellschaft an?

Es ist unstrittig, dass es grundsätzlich eine starke Polarisierung in der türkischen Gesellschaft gibt: Einerseits sind die gläubigen Türkinnen und Türken, die sich am Islam orientieren. Andererseits jene, die weltlich leben wollen.

Die Macher der Serie sagen, sie würden bloss ein Thema aufgreifen, das die Gesellschaft bewege.

Diese Polarisierung wird auch bei Wahlergebnissen immer wieder deutlich sichtbar. Die TV-Serie spitzt dies jetzt lediglich als Unterhaltungsserie zu. Wenn man auf der Seite der Regierung steht, wirkt das natürlich wie eine Provokation. Doch laut ihren Machern greift die Serie bloss ein Thema auf, das die Gesellschaft bewege.

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Religiös-konservative Kreise kommen in der Serie nicht gut weg – was stört die Regierung konkret?

Es geht in der TV-Serie um den Einfluss islamischer Bruderschaften in der türkischen Gesellschaft. Das ist ein sehr sensibles Feld – man erinnere sich an die Gülen-Bewegung, mit der sich Präsident Recep Tayyip Erdogan vor Jahren zunächst zusammengetan hatte, sie aber später bis aufs Blut bekämpfte.

Laut Berichten nimmt der Einfluss islamischer Bruderschaften auf die Regierung zu.

Jetzt gibt es neue Berichte, dass der Einfluss solcher Bruderschaften auf die Regierung wieder zunehmen würde. Wenn nun eine Fernsehserie diesen angeblichen Filz zwischen islamischen Bruderschaften und der Politik thematisiert, dann ist das für die Regierung sehr unangenehm und sie wehrt sich dagegen.

Die Regierung von Erdogan verstärkt den Druck auf die Medien schon seit Jahren – was ist dabei ihr Ziel?

Die Regierung sagt, sie habe dabei kein Ziel – sie wolle nicht in den Lebensstil der Menschen in der Türkei eingreifen. Allerdings sagt sie auch, sie wolle die Werte der gläubigen Menschen im Land schützen und verhindern, dass sie verletzt würden. Kritiker sehen das ganz anders und werfen der Regierung vor, den Islam in der Gesellschaft zu stärken.

Wie geht es mit der Serie «Rote Knospen» jetzt weiter?

Die Produktionsfirma will sich nicht abschrecken lassen – trotz des Sendeverbots und den umgerechnet 250'000 Franken Strafe, die sie bereits bezahlen musste. Die umstrittene dritte Folge soll nun am 22. Januar ausgestrahlt werden.

Die Produktionsfirma will laut eigenen Angaben ‹bis zum Schluss› weiterkämpfen.

Allerdings sagte der Chef der türkischen Sendebehörde, man werde nicht zulassen, dass man sich über die nationalen Werte lustig mache. Möglicherweise wird die Ausstrahlung also erneut gerichtlich verboten. Trotzdem will die Produktionsfirma laut eigenen Angaben «bis zum Schluss» weiterkämpfen.

Das Gespräch führte Romana Kayser.

SRF 4 News aktuell, 15.01.2024, 06:50 Uhr ; 

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