Die Lage in Tijuana an der Grenze von Mexiko zu den USA ist angespannt. Migranten versuchten, die Grenze zu stürmen und wurden zurückgewiesen. Gleichzeitig schaffen die USA jedes Jahr Zehntausende von Zentralamerikanern aus.
Was passiert mit diesen Menschen, wenn sie wieder im Herkunftsland sind? Philippe Schneuwly, Regionaldirektor der Schweizerischen Stiftung für technische Zusammenarbeit (Swisscontact), gibt Auskunft.
SRF News: Viele zentralamerikanische Migranten werden schon an der Grenze der USA zurückgewiesen oder später ausgeschafft. Was geschieht mit ihnen, wenn sie wieder in ihr Heimatland zurückkehren?
Philippe Schneuwly: Für die meisten ist die Rückkehr sehr schwierig – sie geraten in eine Krise. Ihnen schlägt oft Hohn entgegen, wenn sie in ihre Gemeinden zurückkommen. Das hängt damit zusammen, dass sie jahrelang aus den USA Gelder überwiesen haben. Das hat ihren Familien einen etwas höheren Lebensstandard erlaubt. Doch umgekehrt rief das Neid hervor. Hinzu kommt die oft traumatische Erfahrung einer Ausschaffung. Das führt zu Depression, Isolation und zu Situationen, wo Menschen psychologische Probleme kriegen. In unserer Arbeit sehen wir, dass die soziale Reintegration sehr schwierig ist.
Werden die Rückkehrer auch stigmatisiert?
Ja, wir beobachten eine Stigmatisierung. Es herrscht ein Befinden in der Bevölkerung, dass die Rückkehrer gewalttätig sind. Man nimmt an, sie seien in kriminelle Machenschaften von kriminellen Jugend-Banden involviert.
Fakt ist aber auch, dass Menschen aus den USA ausgeschafft werden, weil sie straffällig wurden.
Das ist so. Aber gemäss den Statistiken, die wir von den US-Behörden erhalten, können wir davon ausgehen, dass ca. 95 Prozent wegen Bagatell-Delikten ausgeschafft werden. Sie haben vielleicht ein Rotlicht überfahren. Oder sie wurden an einem Arbeitsplatz aufgegriffen, für den sie keine Bewilligung hatten.
Und wenn sie zurück sind, werden sie als Schwerkriminelle angesehen?
Ja. Dafür gibt es zwei Gründe: Der erste ist historischer Natur. Die Banden sind ursprünglich in den USA entstanden – in Los Angeles genauer gesagt. Und als die US-Regierung diese Leute im Rahmen der «Zero-Tolerance-Policy» Mitte der 1990er-Jahre ausschaffen liess, wurden nicht nur Menschen, sondern auch kriminelle Systeme exportiert.
Mitte der 1990er-Jahre wurden nicht nur Menschen, sondern auch kriminelle Systeme aus den USA ausgeschafft.
Diese haben sich dann in den Ländern Mittelamerikas eingenistet. Für die Menschen vor Ort ist es sehr schwierig, das zu trennen. Für sie ist Migration verbunden mit Gewalttätigkeit, obwohl das von der Statistik widerlegt wird.
Und der zweite Grund?
Der zweite Grund ist kultureller Natur. Junge Latinos in den USA pflegen sich zu tätowieren. Das tun auch die Bandenmitglieder. Für jemanden in El Salvador zum Beispiel, der eine junge, tätowierte Person auf der Strasse sieht, gestaltet sich die Unterscheidung als sehr schwierig: ist das ein Bandenmitglied oder nicht? Die Angst vor den Banden ist der Kern der sofortigen Stigmatisierung.
Wo setzen die Programme von Swisscontact zur Unterstützung der Rückkehrer an?
Wir arbeiten auf verschiedenen Ebenen: Zusammen mit der Privatwirtschaft versuchen wir, die Nachfrage nach Fachkräften zu identifizieren. Da kommt relativ schnell die Frage, woher wir diese Leute kriegen. Die Rückkehrer können hier Qualifikationen anbieten. Sie verfügen über Erfahrung im Bausektor oder im Gastgewerbe. Und zusammen mit Berufsbildungsinstitutionen können deren Kompetenzen evaluiert, zertifiziert und so an den Privatsektor weitervermittelt werden.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.