Die heute in Berlin lebende russische Sicherheitsexpertin und Autorin Oxana Schmies ist überzeugt: Der Bruch zwischen Russland und dem Westen, ganz besonders zur Nato, erfolgte nicht erst mit dem russischen Eingreifen in Georgien, der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine.
Er geht auf die 1990er-Jahre zurück: «Damals erfolgte die falsche Weichenstellung. Was damals geschah, prägt das Verhältnis zwischen Russland und der Nato immer noch.» Denn damals wurde die wohl beste Chance vertan für eine auch formelle Annäherung.
Das Missverständnis
Im Zentrum steht ein gewaltiges Missverständnis. Nach russischer Lesart haben die Amerikaner mit ihnen schon im Februar 1990 eine Nato-Osterweiterung ausgeschlossen. Dass also die ehemaligen Mitgliedländer des Warschauer Pakts ausserhalb der Nato-Allianz bleiben.
Inzwischen stehe jedoch fest, so Schmies: «Es gab keine belastbare Zusage, keine schriftliche Vereinbarung. Darüber ist man sich in der Geschichtswissenschaft mittlerweile einig.»
«Keinen Zentimeter nach Osten»
Es gab jedoch eine mündliche Äusserung des damaligen US-Aussenministers James Baker gegenüber dem russischen Staatsoberhaupt Michail Gorbatschow, die Nato werde sich «keinen Zentimeter nach Osten» ausdehnen.
Was die Russen als Zusicherung verstanden, war aus westlicher Sicht völlig unverbindlich. Schmies: «Auch Gorbatschow als wichtigster Zeuge hielt später fest, es habe keine Garantien, keinen Wortbruch und damit auch keine bewusste Täuschung durch den Westen gegeben.»
Auch Gorbatschow als wichtigster Zeuge hielt später fest, es habe keine Garantien, keinen Wortbruch und damit auch keine bewusste Täuschung durch den Westen gegeben.
Dass man im Westen mit Aussagen zur Nato-Osterweiterung locker umging, gründete darin, dass die Nato gar nicht anstrebte, sich nach Osten auszudehnen. Es gab damals eine grosse Kontroverse unter den Nato-Mitgliedländern und auch innerhalb der einzelnen Regierungen, ob eine Osterweiterung wünschenswert wäre.
So war in Washington das Pentagon klar dagegen, das Weisse Haus dafür. «Hingegen drängten die osteuropäischen Staaten selber sehr bald in die Nato», sagt Schmies. Am Ende öffnete ihnen die Nato, eher zögerlich, die Tür. Für die Russen war das ein Affront, zumal man später in den 1990er-Jahren den Westen bereits nicht mehr als Partner, sondern als Widersacher betrachtete.
Hingegen drängten die osteuropäischen Staaten selber sehr bald in die Nato.
Zentral war für die Russen auch die 1997 in der Nato-Grundakte schriftlich festgehaltene Versicherung, keine grösseren Truppenverbände aus Nato-Ländern dauerhaft in Osteuropa zu stationieren.
Dieses Prinzip wird inzwischen zumindest geritzt durch Stationierungen im Baltikum und in Polen. Die Nato spricht zwar von Truppenrotationen – und beruft sich auf die geänderte Sicherheitslage, was eine Abkehr von der Zusage in der Nato-Grundakte erlaube.
Jedenfalls ertönt der Vorwurf, hintergangen worden zu sein, aus Moskau immer wieder. Er werde durch den Kreml auch instrumentalisiert, um dem Westen die Schuld zuzuweisen, sagt Schmies. Bis heute fehlt eine einvernehmliche Betrachtung der turbulenten und für das heutige Zerwürfnis zentralen 1990er-Jahre.
Drei Gipfel
Deshalb ist eine Rückkehr zum guten Geist unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges völlig blockiert. Von einem Nato-Beitritt Russlands spricht gar niemand mehr, nicht einmal mehr als Langzeitperspektive.
In den nächsten Tagen spielt das Verhältnis des Westens zu Russland gleich dreimal eine zentrale Rolle: auf dem G7-Gipfel in Cornwall, auf dem Nato-Gipfel in Brüssel und auf dem Biden-Putin-Gipfel in Genf.