In Jerusalem hat der Zionistische Weltkongress begonnen. Dabei handelt es sich quasi um das Parlament des jüdischen Volkes. 525 Vertreterinnen und Vertreter aus zahlreichen Ländern sprechen über Themen, die jüdische Menschen beschäftigen. Was genau der Zionistische Weltkongress ist, weiss Simon Fuchs, Professor in Jerusalem.
SRF News: Wie bedeutend ist der aktuell stattfindende Zionistische Weltkongress?
Simon Fuchs: In Israel ist die Aufmerksamkeit für den Zionistischen Weltkongress ziemlich klein, doch für die Diaspora ist er nach wie vor wichtig. So gab es in den USA eine Rekordbeteiligung bei der Wahl der Delegierten, während in Israel kaum jemand vom Kongress spricht oder überhaupt weiss, dass er derzeit in Jerusalem tagt.
Was sind die Themen des Zionistischen Weltkongresses in diesem Jahr?
Es stehen sehr kontroverse Aspekte auf der Tagesordnung, die stark mit israelischer Innenpolitik zu tun haben. Es gibt verschiedene Resolutionen, die israelische Regierung darin zu bestärken, das Westjordanland oder den Tempelberg zu annektieren. Doch es gibt auch Resolutionen, die in die entgegengesetzte Richtung gehen. Sehr viele Themen haben mit der aktuellen Situation und dem Gaza-Krieg zu tun.
Inwiefern ist der Gaza-Krieg Thema?
Es stellt sich etwa die Frage, wer Militärdienst leisten muss. In den letzten Jahren sind die ultraorthodoxen Parteien im Zionistischen Weltkongress sehr stark geworden, obschon sie dem Zionismus eigentlich skeptisch gegenüberstehen. Und gerade die ultraorthodoxen Juden wollen keinen Militärdienst leisten.
Die israelische Regierung hat deutlich gemacht, dass man keine unabhängige Kommission zum Gaza-Krieg will.
Zudem liegt eine Forderung auf dem Tisch, dass die israelische Regierung den Weg freimachen soll für eine unabhängige Untersuchungskommission zum Gaza-Krieg. Allerdings hätte die Annahme einer solchen Resolution keine Wirkung, und die israelische Regierung hat bereits deutlich gemacht, dass man keine unabhängige Kommission will.
Ursprünglich sollte der Kongress den Zionismus voranbringen, also den Staat Israel gründen. Warum braucht es den Kongress heute noch?
Es ist ein Versuch, auch weiterhin in jüdischen Gemeinschaften zu wirken. Ziele sind weiterhin, die jüdische Einwanderung nach Israel zu fördern und die Verbindung zu Israel herzustellen, etwa durch Hebräischunterricht.
Das wird immer schwieriger, denn es gibt grosse Veränderungen in der jüdischen Gemeinschaft. Jüngere Jüdinnen und Jüdinnen wenden sich zunehmend vom Zionismus ab, gerade in den USA, die ein Drittel der Delegierten beim Zionistischen Weltkongress stellen. Sie finden, der Zionismus sei mit ihren liberalen und progressiven Werten nicht vereinbar.
Hat der Kongress Einfluss auf die Politik in Israel?
Der politische Einfluss ist nicht besonders gross, aber es geht trotzdem um viel: Wir wissen nicht, wie viel Geld diese zionistischen Organisationen verwalten. Es sind sehr alte Organisationen, die noch nach osmanischem Recht operieren und keine Berichtspflichten kennen. Womöglich verfügen sie über mehrere Milliarden Dollar, die sie jedes Jahr für Projekte zum Landkauf, für Bildungsprojekte oder für israelische Gemeinschaften im Norden an der Grenze zum Libanon freigeben, die durch den Konflikt mit der Hisbollah in Mitleidenschaft gezogen wurden.
Das Gespräch führte Vera Deragisch.