Die Bilanz ein Jahr nach Beginn der Pandemie ist ernüchternd: «Leider ist es so, dass wir aktuell kein wirklich gut wirksames Medikament bei Covid haben», sagt Gerd Fätkenheuer, Leiter der Infektiologie an der Universitätsklinik Köln.
Praktisch alle Medikamente, die man bei Covid-19 versucht habe, hätten enttäuscht. Zum gleichen Schluss kommt die Expertengruppe der Schweizer Covid-Taskforce in ihrem jüngsten Policy Brief.
Der Infektiologe Manuel Battegay vom Unispital Basel, Vizeleiter der Taskforce, sagt: «Wir haben ein Jahr später viel mehr Klarheit darüber, welche Medikamente wirken und die Mortalität senken. Das ist das Dexamethason. Wir haben aber auch Klarheit darüber, welche Medikamente alle nicht wirken.»
Das Steroid Dexamethason unterdrückt Entzündungsreaktionen des Körpers, es gehört in Schweizer Spitälern zur Basistherapie von Covid-19. Bei mittelschweren bis schweren Verläufen verringert Dexamethason die Sterblichkeit deutlich. Doch der «Durchbruch» gegen Covid-19, wie ihn die WHO im Sommer ankündigte, ist damit nicht gelungen.
Das fehlende Forscher-Glück
Im Vergleich zu den Impfstoffen, die in rasend schnellem Tempo entwickelt und auf den Markt gebracht worden sind, tut sich die Forschung bei den Medikamenten gegen Covid-19 deutlich schwerer. Hat die Wissenschaft etwas verpasst? Wurde im Gegensatz zu den Impfstoffen zu wenig investiert? Der deutsche Infektiologe Gerd Fätkenheuer verneint: «Weder ist etwas verpasst worden, noch ist zu wenig investiert worden. Es ist am Ende auch immer eine Glückssache, ob man die richtigen Substanzen findet oder nicht.»
Und auch Manuel Battegay relativiert: «Bei den Medikamenten ist das eine ganz andere Situation. Zuerst hat man Medikamente gebraucht, die es schon früher gab: ganz alte HIV-Medikamente, auch Malaria-Medikamente, jetzt ein Gicht-Medikament. Man hat gehofft, dass es aufgrund von In-Vitro-Tests auch beim Menschen wirkt. Das war leider bei den allermeisten gar nicht der Fall.»
Positive Daten machen Hoffnung
Und trotzdem sind die Covid-Medikamente nicht zurück auf Feld 1. Inzwischen gibt es positive Daten zu anderen Substanzen. Da ist etwa das Rheumamittel Colchicin, das aus der Herbstzeitlose gewonnen wird. Oder das Asthmamittel Budenosid, das offenbar schwere Verläufe verhindert.
Auch neue Daten zu Tocilizumab sind verheissungsvoll. In der britischen Recovery-Studie senkte der Antikörper die Sterblichkeit um über 30 Prozent, wenn er mit Dexamethason kombiniert wurde. Für Manuel Battegay ein Grund, Tocilizumab einzusetzen: «Das ist die erste ganz grosse Studie und das wird sicher neu evaluiert.»
Am meisten verspricht sich Battegay von Medikamenten, die gezielt bei der Struktur des Virus selber ansetzen: «Da ist die Chance wirklich viel höher, weil spezifisch geschaut wird, ob es gegen dieses Virus wirkt – zum Beispiel die Kopiermaschine des Virus bremst.»
Zwölf Jahre für HIV-Medikament
Einer Forschergruppe aus den USA ist es gelungen, diese Kopiermaschine bei genveränderten Mäusen ausser Gefecht zu setzen. Im Lungengewebe der Tiere blockierten die Forscher das Virus mit einem falschen Baustein, so konnte es sich nicht vermehren. Manuel Battegay ist beeindruckt: «Es zeigte sich eine sehr eindrückliche Senkung der Viruslast um das Hunderttausendfache. Das ist wirklich viel und bedeutend.» Und präventiv angewendet, verhinderte der Wirkstoff, dass sich die Mäuse mit Corona infizierten. Nun braucht es klinische Studien, um diese Wirkung zu bestätigen.
Fazit: Dass die Entwicklung wirksamer Medikamente Zeit braucht, liegt in der Natur der Sache. Bei HIV etwa kamen die ersten Arzneien nach zwölf Jahren auf den Markt. Solange dürfte es bei den Covid-Medikamenten nicht dauern. Gegenüber den Impfstoffen sind sie zwar im Rückstand – aber nun holen sie auf.