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«Opfer sexueller Gewalt verleugnen über Jahre die Tat»
Aus Echo der Zeit vom 02.10.2018. Bild: Colorbox
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Die Fälle Ronaldo / Kavanaugh «Die Frauen werden behandelt als wären sie Täterinnen»

Vor einer Weltöffentlichkeit machen Frauen Vergewaltigungsvorwürfe publik. Eine Trauma-Expertin erzählt aus Opfersicht.

In den USA kandidiert Brett Kavanaugh für das höchste Richteramt und sieht sich Vergewaltigungsvorwürfen ausgesetzt. Das FBI hat eine Untersuchung eingeleitet. In Las Vegas rollt die Polizei einen Fall aus dem Jahr 2009 wieder auf: Damals soll der schillernde Fussball-Star Cristiano Ronaldo eine Frau vergewaltigt haben.

Ein Jahr nach dem Start der #metoo-Bewegung sorgen die beiden Fälle erneut für Schlagzeilen. Rosmarie Barwinski ist Leiterin des Schweizer Instituts für Psychotraumatologie. Sie erklärt, wie Frauen damit kämpfen, ihre Erfahrungen öffentlich zu machen – und warum #metoo so wichtig für Opfer sexueller Gewalt war.

Rosmarie Barwinski

Rosmarie Barwinski

Psychotherapeutin

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Barwinski ist Psychotherapeutin/Psychoanalytikerin und Leiterin des Schweizer Instituts für Psychotraumatologie.

SRF News: Warum melden sich Frauen, die Opfer sexueller Gewalt werden manchmal erst viele Jahre später?

Rosmarie Barwinski: Scham spielt eine sehr grosse Rolle. Das ist sonderbar, denn eigentlich sollten sich ja die Täter schämen und nicht die Opfer. Aber sie schämen sich häufig dafür, dass ihnen das überhaupt passiert ist, dass man so mit ihnen umgegangen ist. Damit tauschen sie ein Stück weit die Rollen: Sie machen sich selbst die Vorwürfe, die sie eigentlich dem Täter machen müssten.

Opfer zweifeln ohnehin daran, ob sie sich richtig erinnern und alles tatsächlich so gewesen ist. Sie neigen dazu, sich die Schuld zu geben.

Häufig können die Frauen über Jahre hinweg auch nicht wirklich realisieren, was ihnen zugestossen ist. Das ist ein normaler menschlicher Mechanismus, wenn etwas zu viel ist: Man erträgt es schlichtweg nicht, verleugnet sich, kapselt sich ein, schiebt das alles zur Seite. Viele Frauen vergessen ihre Erfahrungen scheinbar. Aber irgendwann im späteren Leben gibt es etwas, das diese Dinge berührt und alles kommt wieder hoch.

Wie wichtig ist es für die Bewältigung solcher Traumata, dass die Tat wieder hoch und auch an die Öffentlichkeit kommt?

Wenn man sich nicht damit beschäftigt, ist es nicht einfach innerlich verschwunden. Irgendwann im Leben eines Opfers kann es eine belastende Situation geben, die gewisse Ähnlichkeiten mit dem damals Erlebten hat. Dann kann alles wieder hochschiessen und die Menschen regelrecht überrollen. Deswegen ist es sinnvoll, behutsam im eigenen Tempo diese Kapsel zu öffnen – damit man nicht überrumpelt und das gleiche noch einmal erlebt, was man vor Jahren erfahren musste.

Wenn man die eingangs erwähnten Fälle sieht: Dabei geschieht es ja alles andere als behutsam. Es entsteht sehr grosser Druck in der Öffentlichkeit. Schreckt das Frauen in ähnlichen Fällen ab, an die Öffentlichkeit zu gehen?

Ich vermute schon. Die Frauen werden befragt und behandelt, als wären sie Täterinnen – als ob sie irgendetwas beweisen müssten. Die Situation wird also umgedreht. Die Frauen waren schon einmal Opfer. Plötzlich wird die Tat wieder in Frage gestellt. Das ist eine extreme innere Verunsicherung und eine extreme Belastung für die Opfer. Deswegen denke ich, dass sich viele Frauen nicht trauen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie haben genau vor dieser Situation Angst.

Christina Blasey Ford
Legende: Die Psychologie-Professorin Christina Blasey Ford aus Kalifornien wirft Kavanaugh vor, sie vor 36 Jahren bei einer Highschool-Party auf ein Bett geworfen und versucht zu haben, sie auszuziehen. Reuters

Die Tat muss aber auch aus der Perspektive des mutmasslichen Täters beleuchtet werden.

Das ist aber für die Opfer sehr belastend. Natürlich kann man sagen, dass der Täter selbstverständlich das Recht haben muss, sich zu verteidigen. Das eigene Erleben in Frage zu stellen, ist für die Opfer aber sehr belastend. Deswegen braucht es häufig eine gute Vorbereitung, damit die Frauen das auch durchstehen.

Welche Frage spielt für Sie als Therapeutin die Frage, ob die erinnerte Wirklichkeit auch wirklich wahr ist?

Es ist ganz wichtig, dass man im therapeutischen Prozess an den Punkt kommt, dass man Realität erinnern und auch überprüfen kann. Wenn es sich also lediglich um Phantasien handeln würde, wäre es wichtig, das auch festzustellen. Genau so ist es zentral, dass die Wirklichkeit als Wirklichkeit auf den Tisch kommt und anerkannt werden kann. Erst das macht eine langfristige Verarbeitung dieser Erfahrungen überhaupt möglich.

Vor rund einem Jahr begann weltweit die #metoo-Bewegung. Frauen, aber auch Männer sprechen seither in sozialen Medien offen über sexuellen Missbrauch. Finden Sie als Expertin für Psychotraumata, dass diese Bewegung den Opfern von sexueller Gewalt hilft?

Unbedingt. Bis dahin wehte gesellschaftlich Gegenwind. Opfer zweifeln ohnehin daran, ob sie sich richtig erinnern und alles tatsächlich so gewesen ist. Sie neigen dazu, sich die Schuld zu geben. Wenn gesellschaftlich echtes Interesse nach der Wahrheit und auch ein Gefühl da ist, dass für Gerechtigkeit gesorgt werden soll – dann hilft das den Opfern zu sich und ihren Erfahrungen zu stehen und nicht in Selbstanklagen zu verfallen. Das ist etwas ganz Zentrales.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

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Polizei ermittelt gegen Ronaldo
Aus SRF News vom 02.10.2018.
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