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Ertrunkene Migranten «Wir werden wohl einen neuen Friedhof anlegen müssen»

700 Menschen starben 2019 im Mittelmeer. Ein Fischer in Tunesien gibt ihnen ihre Würde zurück – mit einem Begräbnis.

In einem Grab liegt ein kleiner Junge. Etwa fünf Jahre alt, das hat der Pathologe gesagt. Das Kind wurde im Wasser neben einer Frau gefunden. Viel mehr weiss Chamesddine Marzoug nicht über die Menschen, die er begraben hat. «Vielleicht war sie ja seine Mutter», sagt er. «Dann gehören sie doch zusammen.» Er hat beide Kopf an Kopf beerdigt.

Chamesddine quält es am meisten, dass er so wenig über die Opfer wisse: «Ich weiss nicht, woher diese Menschen kamen und was sie gemacht haben. Vielleicht hätte dieser Junge ja einmal Pilot werden können.»

Ein Ruheort für 400 Menschen

Der Friedhof der Unbekannten liegt neben einer Müllkippe. Die Stadt hat das Grundstück gekauft und für Bestattungen frei gegeben. Mittlerweile liegen hier 400 Menschen. Chamesddine hat sie muslimisch, mit dem Gesicht Richtung Mekka beerdigt. Geld will er dafür nicht haben. Er fand einfach, dass die Toten einen würdigen Ort brauchen, als auf dem Friedhof der Stadt der Platz ausging.

Oft geht Chamesddine an den Hafen. Er ist Fischer und kann wegen einer Fussverletzung nur noch selten aufs Meer fahren. Seine Kollegen retten bei der Arbeit immer wieder Schiffbrüchige – Illegale aus den Ländern südlich der Sahara, die über Libyen nach Europa flüchten wollen. Die bringen die Fischer dann hier in Zarzis an Land oder auch mal in Italien. Sechs von ihnen sassen dort gerade einen Monat im Gefängnis – wegen Schlepperei.

Für den Fischer Salaheddine M’Charek ist es unmöglich, dass sie als Verbrecher abgestempelt werden: «Es ist unsere Pflicht, diese Menschen zu retten. Man kann sie doch nicht einfach auf dem Meer sterben lassen.»

Der Hölle Libyens entkommen

Eine Viertelstunde vom Hafen entfernt zeigen uns Chamesddine und zwei seiner Freunde, wie das läuft mit dem Flüchtlingsgeschäft: Alle paar hundert Meter gekenterte Boote – die Strömung hat sie Richtung Tunesien getrieben. Es seien libysche Boote mit zwei Etagen, erklärt Chamesddine. «Die Schlepper treiben da um die 300 Leute rein. Die im Unterdeck sterben oft schon bei der Überfahrt. Sie ersticken an den Benzindämpfen.»

Wieder an Land, bekommt Chamesddine einen Anruf. In der Nacht sind 68 Flüchtlinge in Seenot aufgegriffen worden. Jetzt sind sie in der Erstaufnahme und werden untersucht. Fast alle waren in Libyen in Gefängnissen und berichten von schweren Misshandlungen. Der Arzt Mongi Slim sieht hier oft Schlimmes – bleibende Behinderungen, Schusswunden.

Die Flüchtlinge kommen aus dem Tschad, von der Elfenbeinküste und aus Mali. Sie sind hin- und hergerissen. Einerseits enttäuscht, dass sie es dieses Mal nicht nach Europa geschafft haben, andererseits froh, der Hölle in Libyen entkommen zu sein. Trotzdem wollen sie bei der nächsten Gelegenheit wieder raus aufs Mittelmeer.

Der Traum von Europa lässt sich nicht so einfach abstellen. Und zu viele, findet Chamesddine, sterben daran. Die Zahl der Flüchtlinge und damit auch der Toten werde weiter steigen.

Bald muss wohl ein neuer Friedhof her. Die Toten liegen schon zu zweit übereinander in den Gräbern. Der Platz geht aus. Chamesddine hofft, dass er nicht so schnell voll wird. Er will weiter machen – solange er noch kann.

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