Heldin oder Kriminelle? An Kapitänin Carola Rackete scheiden sich die Geister, seit die junge Deutsche mit ihrem Schiff mit 40 Flüchtlingen an Bord unerlaubt im Hafen von Lampedusa eingelaufen ist. Für Claus-Peter Reisch, selber ein Kapitän, hat Rackete alles richtig gemacht.
Claus-Peter Reisch
Kapitän der «Lifeline»
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Er war Kapitän des Rettungsschiffs «Lifeline», welches vor der libyschen Küste mehr als 230 Migranten gerettet hatte. Der 58-Jährige war erfolgreicher Unternehmer in Bayern, ehe er auf einem Segeltörn in Griechenland mit dem Flüchtlingselend konfrontiert wurde und sich zu einer Laufbahn als Retter entschloss.
An Carola Rackete scheiden sich die Geister, es gibt Beschimpfungen und sogar Todeswünsche gegen sie. Warum diese Vehemenz?
Man muss solche Sprüche ernst nehmen, aber die Menschen, die so sprechen und anderen den Tod wünschen, sind Rechtspopulisten. Und wenn Salvini Gesetze erlässt, die wahrscheinlich vor dem Europäischen Gerichtshof niemals Bestand haben werden, muss man das auch nicht für bare Münze nehmen. Es gibt ein Nothilfegebot. Wenn sich die Situation auf dem Schiff zuspitzt, muss Rackete von diesem Recht Gebrauch machen.
Rettungsschiff «Lifeline»
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Im vergangenen Juni hat das Schiff «Lifeline» mehr als 230 Migranten vor der libyschen Küste aus dem Mittelmeer gerettet. Das Schiff war unter niederländischer Flagge unterwegs und wurde fast eine Woche auf dem Meer blockiert.
Erst nach der Vereinbarung, dass die Flüchtlinge unter den EU-Ländern aufgeteilt werden, erlaubte Malta die Einfahrt in einen Hafen.
Busse von 10'000 Euro
Private Seenotretter sahen hinter den juristischen Ermittlungen gegen den Kapitän des Schiffes eine politische Kampagne, um die Rettung von Migranten zu erschweren und NGO zu kriminalisieren.
Der deutsche Kapitän, Claus-Peter Reisch, musste sich daraufhin vor Gericht verantworten, weil er das Schiff ohne ordnungsgemässe Registrierung in maltesische Gewässer gesteuert haben soll. Der Kapitän aus dem bayerischen Landsberg am Lech wurde schliesslich zu einer Busse von 10’000 Euro verurteilt, ins Gefängnis musste er aber nicht.
«Menschenleben retten ist kein Verbrechen»
Gegenüber SRF erklärte Reisch damals, dass er nichts falsch gemacht habe. Man habe über ein gültiges Bootszertifikat verfügt. Von der Verhandlung erwarte er nichts anderes als einen Freispruch. Unabhängig vom Urteil erklärte er im Juli 2018: «Wir wollen weiter Menschenleben retten, und Menschenleben zu retten ist kein Verbrechen. Ganz im Gegenteil.»
Laut einem Zürcher Rechtsprofessor sei die Seenotrettung Teil eines ungelösten Problems, weil einerseits das Recht dazu verpflichte, die Menschen in Not zu retten. Andererseits sei diese Pflicht für solche Situationen wie jetzt nicht geschaffen worden. Ist diese juristische Erklärung für Sie eine Spitzfindigkeit?
Ja, die Menschen in diesen Schlauchbooten sitzen in der Regel nicht freiwillig drin. Sie werden aus diesen furchtbaren Camps in Libyen aufs Meer entsorgt. In diesen Booten sind sie bereits beim Ablegen in Seenot und werden zur Not mit Waffengewalt in die Boote gezwungen. Wenn sie nicht einsteigen, werden zwei bis drei von ihnen erschossen.
Die Todeszahlen sind gewaltig gestiegen.
Es ist eine uralte Rechtsvereinbarung und sie ist zu beachten, egal aus welchem Grund sich jemand auf See befindet. Wenn jemand mit Turnschuhen aufs Matterhorn steigt und in Bergnot gerät, wird ihn die schweizerische Bergwacht auch herunterholen.
Europa geht mit dem libyschen Regime Abmachungen ein, dass das Land diese Menschen wieder zurücknehmen soll. Was halten Sie davon?
Das ist völlig unsäglich. Die sogenannte libysche Regierung kontrolliert nur drei Viertel des Stadtgebiets der Hauptstadt Tripolis. Und zudem ist es nicht sicher, ob diese Milizen auf See tatsächlich von der libyschen Zentralregierung sind. Da fahren genug Boote herum, die zum Beispiel an Flüchtlingsschiffen die Motoren abschrauben und das voll besetzte Boot einfach treiben lassen.
Klage gegen Innenminister Salvini
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Die Kapitänin Carola Rackete der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch will den italienischen Innenminister Matteo Salvini wegen Verleumdung verklagen. Eine Klage sei bereits vorbereitet, sagte Racketes Anwalt Alessandro Gamberini dem Radio Cusano Campus. Es sei nicht einfach, alle Beleidigungen von Salvini zu sammeln. Dieser habe überdies zu strafbaren Handlungen angestiftet. Es sei noch schwerwiegender, wenn es ein Innenminister tue, sagte Gamberini.
Die Kapitänin war mit dem Rettungsschiff «Sea-Watch 3» und 40 Migranten an Bord unerlaubt in den Hafen der italienischen Insel Lampedusa gefahren. Rackete ist auf freiem Fuss, es gibt aber ein juristisches Nachspiel. Am Dienstag soll sie wegen des Vorwurfs der Beihilfe zur illegalen Migration vernommen werden. (dpa)
Italien erklärt, dass seit dem Abkommen weniger Flüchtlinge übers Mittelmeer gekommen seien und folglich weniger ertrinken würden. Stimmt das nicht?
Es entbehrt nicht einer gewissen Zynik. Tatsächlich kommen weniger Menschen übers Mittelmeer nach Europa, die Todeszahlen sind jedoch gewaltig gestiegen, auch das UNHCR bestätigt das.
Man zieht vor diesem Drama den Vorhang zu, damit möglichst wenig Leute es sehen.
Es gibt eine dokumentierte Quote von 1 zu 6: Sechs Menschen schaffen die Überfahrt lebend und einer stirbt dabei. Die undokumentierte Quote ist jedoch nicht bekannt. Die Fischer in Zarzis, dem östlichsten Hafen von Tunesien, berichten regelmässig von Leichenteilen in Fischernetzen.
Was ist Ihre Idee, wie man die ganze Problematik lösen könnte?
In einem Punkt muss ich Matteo Salvini Recht geben. Es kann nicht sein, dass die EU aufgrund dieses unsäglichen Dublin-Abkommens Italien alleine lässt. Es muss ein vernünftiger Verteilungsschlüssel her. Ob da alle Länder in Europa mitmachen oder nicht, ist erst mal egal.
Neue Hängepartie im Mittelmeer
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Nach dem Drama um die «Sea Watch»-Kapitänin Carola Rackete droht zwischen Deutschland und Italien der nächste Streit um eine deutsche Hilfsorganisation. Das Schiff «Alan Kurdi» von Sea-Eye aus Regensburg nahm nach eigenen Angaben in internationalen Gewässern vor Libyen 65 Migranten von einem überladenen Schlauchboot auf. Matteo Salvini drängte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in einem Brief, Verantwortung für das Schiff zu übernehmen.
Die «Alan Kurdi» könne nicht nach Italien fahren – auch nicht im Fall einer späteren Weiterverteilung der Migranten auf weitere Staaten, machte Salvini deutlich: «Italien (...) beabsichtigt nicht, weiterhin der einzige ‹Hotspot von Europa› zu sein.» Eine Verschlechterung der Situation an Bord werde ausschliesslich auf Deutschland als Flaggenstaat, auf den Kapitän und die Crew der «Alan Kurdi» zurückfallen, warnte Salvini.
Der Sommer steht an. Ist eine nächste Flüchtlingswelle zu befürchten?
Die gibt es ja schon, sie wird nur nicht mehr dokumentiert. Man zieht vor diesem Drama den Vorhang zu, damit möglichst wenig Leute es sehen. Dann poppen halt immer mal wieder solche Dinge auf wie jetzt bei Carola Rackete, die die Thematik wieder in den Fokus rücken.
Das Gespräch führte Marc Lehmann.
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