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Ölkatastrophe in Sibirien «70 Prozent der Infrastruktur in der Arktis sind hoch gefährdet»

In Sibirien, bei der Stadt Norilsk, sind am Sonntag tausende Liter Treibstoff aus einer Pipeline ausgelaufen. Das ist nicht die einzige Umweltkatastrophe, die die Region beschäftigt. Ende Mai gelangten 21'000 Tonnen Heizöl in die Umwelt. Aktivisten sprachen von der grössten Ölkatastrophe in der Geschichte der russischen Arktis. Wissenschafterin Gabriela Schaepman-Strub von der Uni Zürich befürchtet noch weitere Unglücke dieser Art.

Gabriela Schaepman-Strub

Professorin für Erdsystemwissenschaften

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Gabriela Schaepman-Strub, ausserordentliche Professorin für Erdsystemwissenschaften an der Universität Zürich, ist Expertin für den Klimawandel in der Arktis. Sie kennt Sibirien von zahlreichen Forschungsreisen.

SRF News: Wieso häufen sich gerade jetzt Ölkatastrophen in der Region?

Gabriela Schaepman-Strub: Leider ist es so, dass in dieser Region die Temperaturschwellwerte des Permafrostes um die null Grad liegen. Das rührt auch daher, dass wir jetzt zwei Jahre hintereinander Temperaturextreme hatten mit sehr hohen Temperaturen schon im Frühjahr und wenig Schnee. Und das hat natürlich zu einer zusätzlichen Erwärmung des Permafrostes geführt.

Inwiefern hängen der auftauende Permafrost und die Umweltunglücke mit den Pipelines zusammen?

Eine Studie hat kürzlich gezeigt, dass vier Millionen Menschen und etwa 70 Prozent der Infrastruktur in der Arktis hoch gefährdet sind wegen des Auftauens. Wenn der oberflächliche Permafrost auftaut, sinken die Pfosten, auf denen die Infrastruktur steht, ab. Das ist, wie wenn Sie diesen Bauten das Fundament wegziehen würden. Entsprechend gibt es dann solche Unglücke.

Wenn der oberflächliche Permafrost auftaut, sinken die Pfosten, auf denen die Infrastruktur steht, ab.

Wenn die Permafrostböden wegen der Wärme weiter auftauen, heisst das, dass mit weiteren Ölkatastrophen zu rechnen ist?

Das ist leider zu erwarten. Im panarktischen Bereich steht etwa ein Drittel der Öl- und Gasförderungsinfrastruktur – in Russland allein etwa 45 Prozent – auf solchen Böden. Entsprechend kann man sich vorstellen, dass es zu weiteren Ölkatastrophen kommen kann.

Wenn Öl ins Ökosystem gelangt, welche Folgen hat das für Sibirien?

Sehr schnell sehen wir ein Vogel- und Fischsterben, aber das sind nur die obersten Glieder in der Nahrungskette. Langfristig gibt es eine Verschmutzung der Böden. Diese Stoffe werden in der Arktis nur sehr langsam abgebaut, weil die Bioaktivität wegen der tiefen Temperaturen und der sehr kurzen Sommer langsam vonstattengeht.

Dass der Permafrost auftaut, löst bei Klimaforschern Sorgen aus. Was sind die grössten Befürchtungen?

Wir haben verschiedenste Rückkopplungen dieser Klimaevents. Einerseits erwarten wir einen Abbau von Kohlenstoff, der jetzt im Permafrost lagert. Das kann in Form von Methangas oder CO2 passieren, wenn es trocken ist.

Die Brände treiben die Wölfe und Bären raus aus der Taiga und rein in die Tundra.

Es gibt aktuell auch sehr viele Brände in der Arktis. Allein im Juni sind dort 56 Megatonnen Kohlenstoff wegen Bränden freigesetzt worden. Das ist mehr als der jährliche Ausstoss an Kohlenstoff der gesamten Schweiz.

Was bedeutet das für Flora und Fauna in Sibirien?

Einerseits treiben die Brände die Wölfe und Bären raus aus der Taiga und rein in die Tundra. Plötzlich gibt es viele Leute, die von diesen Tieren bedroht werden. Es gibt aber auch einen Artenverlust in dieser Region, insbesondere Moose und Flechten, die die Nahrungsgrundlage für Rentiere bilden.

Im Frühjahr kann es wieder zu einem grossen Absterben solcher neuen Vegetationen führen.

Die gehen verloren, neue Arten wandern ein. Man darf aber nicht vergessen: Die sind nicht gerüstet für extreme Ereignisse, wenn dann zum Beispiel trotzdem wieder einmal Frost herrscht. Im Frühjahr heisst das, es kann wieder zu einem grossen Absterben solcher neuen Vegetationen führen.

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

SRF 4 News. 13.07.2020, 08:45 Uhr ; 

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