Fans – mal laut, mal leise
SRF News: Was zeichnet den Fan an der Euro 2016 aus?
Harald Lange: Den Fan gibt es nicht. Es gibt dafür eine bunte Fankultur. Menschen verschiedener Kulturen, die sich vom Ereignis Fussball ganz unterschiedlich ansprechen lassen.
Welche Rolle spielt dabei der Gemeinschaftssinn?
Während wir in vielen Bereichen der Gesellschaft eher auf Abgrenzung bedacht sind, ist in diesem Bereich der Gemeinschaftssinn extrem wichtig. Bei Länderspielen tragen alle die gleichen Kleidung, verhalten sich alle auf die gleiche Weise. Und jedem ist klar: Du darfst mit jedem sofort in Gespräch kommen. Das kann eine Gesellschaft erheblich auflockern.
Was auffällt ist auch der hohe Anteil von Frauen an Nationalmannschaftsfans.
Der Frauenanteil ist stetig gewachsen. Inzwischen werden Frauen auch gezielt angesprochen. Bei Public Viewings liegt der Frauenanteil bei ungefähr fünfzig Prozent. Es ist keine Männerdomäne mehr, Nationalmannschaftsfan zu sein.
Die Atmosphäre bei Länderspielen ist meist friedlich. Lässt sich das mit dem Frauenanteil erklären?
Auf jeden Fall ist es nicht mehr so gewalttätig wie in den 70er und 80er Jahren. Es ist mehr auf das Kennenlernen anderer Fankulturen hin ausgerichtet. Es spricht einiges dafür, dass der höhere Frauenanteil im Stadion dazu führt, dass die Atmosphäre friedlicher geworden ist.
Der Mangel an lautstarken Fans fällt bei manchen Länderspielen aber extrem auf. Was ist passiert?
Die englische Premier League liefert ein gutes Beispiel. Wegen der hohen Ticketpreise liegt das Durchschnittsalter der Premier-League-Zuschauer bei über 50. Durch das «Austauschen» der Fans ist das Ganze enorm sicher geworden. Dafür leidet die Stimmung.
Die kommerziellen Interessen stehen demnach über allem?
Es ist zu vermuten, dass das aus kommerziellen Gründen gesteuert wird. Denn die Fankultur, die sich jetzt gebildet hat, ist zahlungskräftig. Heisst: Sie kaufen die teuren Trikots und das alle zwei Jahre – zumindest die Fans der Nationalmannschaften. Mit solchen Fans lässt sich eine Menge Geld verdienen.
Die könnten ja trotzdem für Stimmung sorgen…
Das liegt an der Art und Weise wie Unterstützung organisiert wird – mit Animatoren, die irgendwas vorgeben, das dieses «Freizeitpublikum» eifrig nachmacht. Ganz anders als in den meisten Vereinen, wo Ultras-Gruppen unabhängig von der Vereinsführung eigene Choreografien entwerfen. Das haben wir bei den Nationalmannschaften nicht.
So sind Fans
Teile der ungarischen, kroatischen oder russischen Fans weisen im Gegensatz zum «Freizeitpublikum» gewalttätige Tendenzen auf. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Der Fussball ist für diese Leute eine Bühne, sich zu präsentieren. Speziell bei Kroatien ist dies zu beobachten. Dort gibt es Personal in der Verbandsspitze, das fast als rechtsradikal bezeichnet werden kann. Das setzt sich in den Fankreisen fort. Es gibt dort aber auch eine Gegenbewegung und deshalb auch Konflikte, wie man beim Spiel Kroatien gegen Tschechien sehen konnte . Das kann man auch in Italien, Spanien und Frankreich beobachten – allerdings nicht in diesem Umfang und auch längst nicht in dieser Deutlichkeit.
Welche Wirkung haben Nationalmannschaften denn auf die Gesellschaft? Die Schweizer Mannschaft vereint beispielsweise Spieler mit unterschiedlichen Hintergründen.
Damit liesse sich jedenfalls konstruktiv weiterarbeiten. Die fröhliche Vielfalt könnte auch ein Leitthema für die gesellschaftliche Entwicklung finden, denn im Mikrokosmos Sport funktioniert das alle zwei Jahre hervorragend.
Wie lange wird denn der Eventcharakter von Fussballtunieren noch aufrecht erhalten werden können?
Das wird sich sicher abnutzen. Bestimmte Kunden werden für bestimmte Produkte erzogen. Das wird aktuell sehr exzessiv betrieben. Irgendwann sättigt sich das und dann kommt eine Gegenbewegung. Nach und nach wird sich die etablieren. Schlussendlich wird das Bewusstsein geschaffen, dass die Art des «Eventfans» eher eine Art Unterhaltungstourismus ist und eigentlich nur Abhängigkeit schafft.