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Schiff verliert Tonnen Plastik Vor Sri Lanka bahnt sich eine Umweltkatastrophe an

In Sri Lanka werden nach der Havarie eines Containerschiffs vor der Küste tonnenweise Mikroplastikteile an die Küste in der Nähe der Hauptstadt Colombo angeschwemmt. Es drohten massive Folgen für die Meeresbewohner, sagt die Umweltwissenschaftlerin Patricia Holm von der Uni Basel. Und das nicht nur am unmittelbar betroffenen Küstenabschnitt.

Patricia Holm

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Die Biologin Patricia Holm ist seit über 20 Jahren Professorin für Ökologie im Departement für Umweltwissenschaften an der Universität Basel und forscht zum Thema Mikroplastik.

SRF News: Welche Folgen hat das ins Meer gelangte Kunststoff-Granulat?

Patricia Holm: Tiere könnten das Plastik anstelle von Futter zu sich nehmen, weil die meisten von ihnen das Plastik nicht von Nahrung unterscheiden können. Die Tiere verhungern dann mit vollem Magen.

Wegen des zunächst an der Oberfläche schwimmenden Polyäthylen-Granulats kommt auch weniger Licht in die oberen Meeresschichten, was die Photosynthese und die Orientierung der Meerestiere beeinträchtigt. Wenn das Mikroplastik später dann doch absinkt – das tut es zum Beispiel, nachdem sich auf der Oberfläche ein Biofilm angesiedelt hat – wird der Meeresboden davon bedeckt und es wird an den Strand angespült.

Personen in Ganzkörperanzügen schaufeln am Strand Granulat in Säcke.
Legende: Angehörige der sri-lankischen Marine versuchen, die betroffenen Strände vom Plastik zu säubern – doch immer wieder wird neues Granulat angeschwemmt. Keystone

Ist die grosse Artenvielfalt vor der sri-lankischen Küste jetzt akut bedroht?

Die Lebewesen dort sind jetzt tatsächlich bedroht. Die Artenvielfalt wird aber nur selten durch ein einzelnes Ereignis massiv verringert. Meist kommen die Lebewesen ja auch andernorts vor. Aber lokal ist es durchaus möglich, dass die Populationen zugrunde gehen.

Frachtschiff brennt immer noch

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Legende: Keystone

An der betroffenen Küste in Sri Lanka sind inzwischen Hunderte tote Fische, einige tote Schildkröten sowie Trümmer der Fracht des verunglückten Schiffs X-Press Pearl angeschwemmt worden. Das unter der Flagge von Singapur registrierte Frachtschiff brennt seit zehn Tagen vor der Küste von Sri Lanka.

Derweil versuchen mehr als Tausend Soldaten und Seeleute, die Strände von dem Plastikgranulat zu befreien, das immer wieder an Land geschwemmt wird. Mehr als 6000 Fischer im betroffenen Küstenabschnitt dürfen derzeit nicht fischen. Die Chefin der Meeresschutzbehörde sagte, dass sie in den vergangenen Jahren keinen vergleichbaren Schaden gesehen habe.

Die X-Press Pearl war mit 1486 Containern und teils gefährlichen Chemikalien beladen, darunter Salpetersäure und Mikroplastikgranulate zur Plastikherstellung. Offenbar trat während eines Sturms eine Chemikalie aus einem Container aus, was eine chemische Reaktion auslöste und zum Feuer führte. (sda)

Die Tonnen von Plastikgranulat verschmutzen derzeit noch einen relativ kleinen Strandabschnitt, dort aber in sehr konzentrierter Form. Gibt es keine Möglichkeit, das Mikroplastik abzuschöpfen und zu entfernen?

Man stellt sich das immer so einfach vor: Beispielsweise mit Plankton-Netzen das Meer zu durchkämmen und die Plastikteile aus dem Wasser zu filtern. Doch wenn man das macht, fischt man auch die Plankton-Organismen ab, jene kleinen Tiere und Pflanzen, welche die Lebensgrundlage für alle grösseren Tiere bilden.

Durch die Meeresströmungen werden die Plastikpartikel über die ganze Welt verteilt.

Was man tun kann, ist, Schwimmsperren auszubringen, um das obenauf schwimmende Plastik zusammenzuhalten und dann abzuschöpfen. Doch dazu müssen die Umweltbedingungen stimmen: möglichst stille See, kein Wellengang, kein Wind.

Plastik im Meer ist fast unzerstörbar

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Das Plastik hält sich sehr lange in der Umwelt – bis heute weiss man nicht, wie lange genau. Wenn Plastikteile beispielsweise in Sediment begraben werden, könnte es durchaus Hundert Jahre oder länger dort verbleiben, ohne sich zu verändern. Die Plastikteile werden mit der Zeit in immer kleinere Bruchstücke zerkleinert und zerrieben – doch damit ist der Kunststoff immer noch vorhanden – und es werden immer mehr Teile. Hinzu kommt: Je kleiner sie sind, desto gefährlicher werden sie, weil sie so verstärkt von Organismen aufgenommen werden. Mikroteile von Plastik können dann sogar bis in die Zellen von Tieren vordringen. Das wird derzeit erforscht – und davor haben die Wissenschaftler ordentlichen Respekt.

Mikroplastik findet man inzwischen in allen Meeren auf der Erde. Wird die aktuelle Katastrophe von Sri Lanka die Plastik-Verschmutzung weltweit weiter verstärken?

Das Problem ist lokal natürlich viel massiver als weiter entfernt. Doch durch die weltweiten Meeresströmungen wird ein Teil der Plastikpartikel von der Havarie vor Sri Lanka über die ganze Welt verteilt und in Monaten oder Jahren in allen Weltmeeren zu finden sein. Schon jetzt befindet sich unglaublich viel Mikroplastik in den Meeren und in den letzten Jahren wurde bei Schiffsunfällen immer wieder Mikroplastik freigesetzt. Es ist bedauerlich, dass solche Unfälle nicht vermieden werden können.

Das Gespräch führte Janis Fahrländer.

SRF 4 News aktuell vom 1.6.2021, 06.10 Uhr ; 

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