Zum Inhalt springen

Stinkender Algenteppich «Das Meer stirbt quasi an Multiorganversagen»

Grosse Teile des Meerwassers in der Karibik gleichen einer braunen Brühe, es stinkt nach verfaulten Eiern. Schuld ist ein Braunalgenteppich, der mittlerweile von Westafrika bis zum Golf von Mexiko reicht. Allein an den mexikanischen Stränden werden jeden Tag tausende Tonnen davon eingesammelt. Neu ist das Phänomen nicht, allerdings breiten sich diese Algen seit 2011 explosionsartig aus. Laut dem Meeresbiologen Nikolaus Gelpke liegt das am Düngereinsatz.

Nikolaus Gelpke

Chefredaktor «Mare»

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Nikolaus Gelpke ist Herausgeber und Chefredaktor der deutschen Zeitschrift «Mare». Der Meeresbiologe präsidiert unter anderem das International Ocean Institute.

SRF News: Was ist der Grund für diese Algenplage?

Nikolaus Gelpke: Algen sind Pflanzen. Und genau wie an Land das Gras wachsen Algen besonders gut, wenn man sie düngt. Hauptsächlich Phosphat- und Nitrateinträge – also Düngemittel – fördern das Wachstum von Algen.

Wer ist Schuld daran, dass so viel Dünger ins Meer gelangt?

Vor Westafrika wird kaltes Tiefenwasser an die Oberfläche gedrückt. Das war schon immer so, das ist kein neuer Effekt. Dieses kalte Tiefenwasser bringt sehr viele Nährstoffe mit. Darum ist vor der westafrikanischen Küste auch die Fischerei so intensiv. Vor Brasilien ist der Amazonas der Hauptlieferant von Nährstoffen aus der Landwirtschaft. Dort liegt das Hauptproblem: Durch intensives Düngen werden immer mehr Nitrate und Phosphate aus den Weiden ausgewaschen, ins Amazonasgebiet getragen und ins Meer gespült.

Diese Algen stinken nach faulen Eiern. Warum ist das so?

Zuerst stinken sie gar nicht, sie duften nach Algen. Erst wenn sie älter werden und absterben, werden sie von Bakterien verzehrt und abgebaut.

Die Bakterien produzieren Schwefelwasserstoff. Dieser stinkt nach faulen Eiern.

Diese Bakterien benötigen dazu Sauerstoff. Das heisst, der Sauerstoff im Wasser wird nach und nach reduziert und schliesslich aufgebraucht. Dabei produzieren die Bakterien Schwefelwasserstoff. Dieser stinkt nach faulen Eiern. Das bedeutet auch, dass in diesen Gebieten nicht nur sauerstofffreie Zonen ohne jegliches Leben entstehen, sondern zudem noch giftiges H2S, also Schwefelwasserstoff, produziert wird. Es entsteht eine Todeszone.

Das ist also ein massiver Eingriff ins Ökosystem?

Ja. Man weiss nie genau, wie lange so etwas andauert. Für die Wissenschaft ist es immer schwer zu prognostizieren, wie sich so etwas entwickelt. Aber grundsätzlich sind diese Sauerstoffzehrungsprozesse für ein Ökosystem eine Katastrophe. Sobald dem Leben der Sauerstoff entzogen wird, ist das final.

Was kann man dagegen tun? Weniger Dünger einsetzen im Amazonas?

Das ist nicht so einfach. Man sieht es zum Beispiel an der Ostsee. Die Ostsee ist ein Nebenmeer, das sehr starke Einträge hat durch Flüsse. Darum ist das Wasser auch sehr brackig, also süss im Vergleich zu anderen Meeren.

Grundsätzlich sind Sauerstoffzehrungsprozesse für ein Ökosystem eine Katastrophe.

Dort hat man es geschafft, dass die sogenannte Eutrophierung, also das Düngen des Meeres, abgenommen hat. In Brasilien ist das Gegenteil der Fall. Die Landwirtschaft wird unter der neuen Regierung intensiviert. Präsident Jair Bolsonaro versucht die Wirtschaft mit Programmen für Grossbauern anzukurbeln, mit vielen negativen Folgen für die Umwelt.

Bleibt also nichts anderes übrig, als den Algenteppich abzutragen?

Das kann man nicht. Er ist über 8000 Kilometer lang. Man kann nur zusehen und hoffen, dass sich Brasiliens Regierung besinnt – dass wir Menschen uns besinnen und sagen: Es geht nicht nur um Plastikmüll in den Meeren, sondern auch um Klimawandel. Es geht um die Überdüngung und Überfischung der Meere. Das sind wirklich grosse Probleme. Und diese lassen das Meer nun quasi an Multiorganversagen sterben, das kann man nicht anders sagen.

Das Gespräch führte Simon Leu.

Meistgelesene Artikel