«Eine Win-Win-Situation», denkt die arbeitslose Frau aus dem Kanton Aargau. Sie erhält die Möglichkeit für das Schweizerische Jugendschriftenwerk SJW Hefte zu vertreiben. Möglicher Verdienst: 4- bis 6'000 Franken im Jahr. «Ich kann etwas arbeiten und entlaste gleichzeitig die Arbeitslosenkasse ALK», findet sie. Herausgekommen ist es anders: Die Frau muss wegen dieses Mini-Verdienstes mehr Arbeitslosengeld zurückzahlen, als sie verdient hat.
Berechnung mit hypothetischem Stundenlohn
Bei SJW arbeitet sie ab August 21 auf eigene Rechnung. Sie ist also weder angestellt, noch hat sie einen fixen Stundenlohn. Ihr Verdienst: 30 Prozent des Verkaufspreises der SJW-Hefte. Im August verdient sie gar nichts, im September 60 Franken. Im Dezember füllt sie erstmals das Zwischenverdienstformular für die ALK aus. Wenig später meldet sich diese. Die Frau muss pro Monat aufschreiben, wie viele Stunden sie für SJW gearbeitet hat – egal, ob sie etwas verdient hat.
Man hat ausgerechnet, was ich mit einem hypothetischen Stundenlohn hätte verdienen sollen.
Dann erhält sie rückwirkend neue Abrechnungen für das Arbeitslosengeld: «Man hat ausgerechnet, was ich mit einem hypothetischen Stundenlohn hätte verdienen sollen.» Die ALK kommt für August bis März auf einen Verdienst von rund 2'500 Franken. Tatsächlich hat die Frau aber nur rund 900 Franken verdient, 700 davon muss sie mit der ALK angeben.
«Niemand hat mich gewarnt.»
Resultat: Sie muss rund 1'800 Franken Arbeitslosengeld zurückzahlen. Als sie sich erkundigt, sagt die ALK, so sei das Gesetz. Die Kasse müsse von einem orts- und berufsüblichen Stundenlohn ausgehen. Die Frau ist frustriert. Niemand habe sie gewarnt, sagt sie: «Man hat mir nur gesagt, dass ich das Zwischenverdienstformular ausfüllen müsse. Von Bedingungen, die ich erfüllen muss, hat niemand etwas gesagt.» Sonst hätte sie mit dem Verkauf der SJW-Hefte nicht angefangen.
Wir hatten nicht rechtzeitig Kenntnis über diese Tätigkeit und die Verdienstmöglichkeiten und konnten die Frau nicht auf mögliche Stolpersteine hinweisen.
Aus Sicht der öffentlichen Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau ist das Hauptproblem, dass die Frau ihren Zwischenverdienst zu spät angegeben habe. Sie hätte das Formular ab August jeden Monat ausfüllen müssen, sagt Kassen-Leiter Fabian Ruhlé: «Dadurch hatten wir nicht rechtzeitig Kenntnis über diese Tätigkeit und die Verdienstmöglichkeiten und konnten die Frau nicht auf mögliche Stolpersteine hinweisen.» Hätte die Frau den selbstständigen Zwischenverdienst rechtzeitig angegeben, wäre sie nicht in diese Situation geraten. Das Problem wäre bereits Ende August erkannt worden und der Schaden für die Frau deutlich kleiner ausgefallen.
Arbeitslosenkasse: «Ein Spezialfall»
Ein Zwischenverdienst für Arbeitslose muss orts- und berufsüblich entlöhnt sein. Diese Vorschrift im Arbeitslosenversicherungsgesetz ist eigentlich zum Schutz der Stellensuchenden gedacht: «So sollen Lohndumping, aber auch der Missbrauch der Arbeitslosenversicherung verhindert werden», sagt Ruhlé. Das hier sei ein seltener Spezialfall. Ein Entgegenkommen lasse das Gesetz aber nicht zu.
Kleiner Trost: Dank «Espresso» hat die ALK den hypothetischen Stundenlohn überprüft und festgestellt: Er war zu hoch. Die Frau muss deshalb etwas weniger zurückzahlen.
P.S.: Inzwischen ist die Frau pensioniert und kann problemlos SJW-Hefte verkaufen.