Zum Inhalt springen

Lawinenprognose auf Prüfstand Die zwei Hüte ein- und desselben Forschungsinstituts

Nach dem Lawinenunglück in Crans-Montana soll das Schnee- und Lawinenforschungsinstitut ein Gutachten erstellen. Das ist heikel.

Das Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos ist schweizweit das Kompetenzzentrum für Lawinen. Zweimal täglich informiert das SLF über die aktuelle Lawinengefahr. So auch am 19. Februar, als das SLF von einer mässigen Lawinengefahr ausging und vor Gleitschneelawinen warnte.

Ein möglicher Täter wird praktisch zum eigenen Richter.
Autor: Martin Hablützel Rechtsvertreter von Unfallopfern

Am Nachmittag verschüttete überraschend eine mächtige Lawine eine Piste im Skigebiet von Crans-Montana. Die Walliser Staatsanwaltschaft klärt nun die Schuldfrage ab. Das Gutachten dazu soll wiederum das SLF liefern. Anwalt Martin Hablützel, der vor Gericht Unfallopfer vertritt, findet das schwierig.

Er spricht von einer heiklen Doppelrolle. «Da wird ein möglicher Täter praktisch zum eigenen Richter», sagt er. «Es ist nicht auszuschliessen, dass das SLF im Falle einer Fehleinschätzung eine gewisse Verantwortung trägt.»

Zwei Rollen im Haus strikt getrennt

Wenn es die Sachlage selber klären müsse, bestehe die Gefahr, dass es nicht mehr neutral sei, so Hablützel. Auch wenn der Gutachter des Instituts korrekt arbeite, bestehe der Anschein von Befangenheit – und damit der Verdacht, dass er nicht unabhängig sei. Dieser Kritik widerspricht Jürg Schweizer.

Er ist Leiter des Schnee- und Lawinenforschungsinstituts in Davos und einer der drei SLF-Experten bei Lawinenunfällen. Im Fall von Crans-Montana hat die Walliser Staatsanwaltschaft ihn persönlich für ein Gutachten angefragt.

SLF-Gebäude aus Beton in den Bergen
Legende: Heikel: Das Institut, das die Lawinenprognose erstellt, muss die eigene Arbeit beurteilen. Keystone

«Ich sehe es nicht als eine Doppelrolle. Insbesondere als Gutachter spiele ich in diesem Stück nicht zwei Rollen», sagt Schweizer. Dies, weil das SLF die Rollen seit den 1990er-Jahren strikt trenne: Wer in der Lawinenprognose tätig sei, könne keine Gutachten verfassen und umgekehrt. Hinzu komme, dass der Auftrag für eine Expertise immer an eine bestimmte Person beim SLF gehe, und nicht an das Institut selber. Die SLF-Experten seien unparteiisch.

Wir sehen unsere Prognosen immer sehr kritisch.
Autor: Jürg Schweizer Leiter des Schnee- und Lawinenforschungsinstituts

«Wir sehen unsere Prognosen immer sehr kritisch», sagt Schweizer. «Und wir haben in der Vergangenheit auch schon gesagt, da war das Bulletin nun eher zu hoch oder eher zu tief.» Aber eigentlich sei die Lawinensituation vor Ort entscheidend. Die SLF-Lawinenprognose spiele eine zweitrangige Rolle.

Dem wiederum widerspricht Anwalt Urs Kröpfli. Er vertritt bei Bergunfällen sowohl Opfer wie auch Angeklagte. Die Gerichte würden den Lawinenprognosen ein grosses Gewicht zumessen. Ihm sei kein Urteil bekannt, bei dem diese Prognosen keine Rolle gespielt hätten.

Österreich setzt auf Gutachterliste

Box aufklappen Box zuklappen

Österreich löst das Dilemma anders als die Schweiz. Peter Höller, Lawinenexperte am Institut für Naturgefahren erklärt: «Das Ziel ist Objektivität. Man darf nicht befangen sein, indem man einer Partei in dem Verfahren nahesteht.» Man müsse den «absoluten Weg der Mitte» gehen. Diesen Weg der Mitte gewährleiste das österreichische System.

Dessen Herzstück ist eine Liste mit aktuell knapp 50 staatlich anerkannten Gutachtern bei Lawinenunfällen. Aus ihnen können die Justizbehörden einen unparteiischen und unabhängigen Experten auswählen. Hinzu komme, so Höller, dass es bei besonders schweren Unglücken manchmal notwendig sei, ins Ausland zu gehen, wie etwa im Lawinenwinter 1999.

Damals zerstörte in Galtür eine Lawine das halbe Dorf, über 30 Menschen kamen ums Leben. Das Expertengutachten übernahm damals das SLF in Davos.

Meistgelesene Artikel