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100 Jahre EVP «Mir ist wichtig, dem Vorbild von Jesus zu folgen»

Die EVP ist eine leise Partei. Doch steter Tropfen höhlt den Stein, sagt ihr Nachwuchs. Ein Treffen mit zwei von ihnen.

Im Gottesdienst der Minoritätsgemeinde Aarau kommt zuweilen eine Art Soft-Rock-Stimmung auf: Psalmentexte auf schweizerdeutsch und eingängige Melodien – den etwa 40, zumeist jungen Gläubigen scheint es zu gefallen. Viele wiegen sich im Takt der Musik, die Hände in der Höhe, die Augen geschlossen.

Der 27-jährige Uriel Seibert bleibt etwas distanzierter. Ihm imponiert vor allem das soziale Engagement seiner Freikirche: «Mir ist es ein grosses Anliegen, dass die Kirche nicht nur da ist, um sich selbst zu beweihräuchern. Wenn wir etwas für die Welt tun können, dann machen wir es.»

Seibert versucht dies nicht nur in der Kirche, sondern auch als Lehrer, als frisch vermählter Ehemann und als Politiker. Seit vier Jahren sitzt er für die Evangelische Volkspartei im Aargauer Grossen Rat.

Der Inbegriff der Kleinpartei

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Seit 1919 mischt die Evangelische Volkspartei in der Schweizer Politik mit. Grosse Schlagzeilen macht die EVP aber selten. Sie ist sozusagen die ultimative Kleinpartei. Seit 1919 war sie praktisch immer mit mindestens einem Nationalrat in Bern vertreten – über drei Sitze kam sie jedoch nie hinaus.

Drei Sitze strebt die EVP auch diesen Herbst wieder an, sagt EVP-Präsidentin Marianne Streiff: «Und wir wollen einen Wähleranteil von mehr als zwei Prozent erreichen.» Die EVP ist – wie ihr Name sagt – stark im evangelischen und evangelikalen Milieu verankert. Sie wird überdurchschnittlich stark von jungen Leuten gewählt.

Das mittlere von acht Kindern frommer Eltern aus dem Aargauer Ruedertal hat sich sehr bewusst für eine betont christliche Partei entschieden: «Als ich die Politik eingetreten bin, habe ich mich gefragt, ob ich wirklich den Stempel ‹Christ› tragen will.» Ihm sei klar gewesen, dass das seine politische Laufbahn bestimmen würde. «Ich habe mich dafür entschieden. Und ich habe es bisher nicht bereut.»

Mehr Freiheit kann dazu führen, dass man ein Verhalten entwickelt, das nicht immer hilft.
Autor: Uriel Seibert Jungpolitiker der EVP

Auch Myriam Zürcher versucht, christliche Wertvorstellungen in praktische Politik umzusetzen. Die 29-jährige technische Operationsfachfrau sitzt für die EVP im Gemeindeparlament von Ostermundigen: «Mir ist es wichtig, dem Vorbild von Jesus zu folgen. Das soll mein politisches Amt prägen.»

Junge EVPler spielen Musik
Legende: Peppiger Auftritt, gepaart mit traditionellen Werten: Bei der EVP kein Widerspruch. SRF/Max Akermann

Respekt vor der Schöpfung und deshalb ein ausgebauter Umweltschutz ist Zürcher wichtig, und Respekt vor dem Leben – auch vor dem Ungeborenen: «Trotzdem darf nicht verloren gehen, dass man die Menschen respektiert. Egal, wie sie denken und handeln.» Will heissen: Abtreibung lehnen Zürcher und ihre Partei zwar strikt ab, ohne aber Frauen, die abtreiben, zu verurteilen.

Festhalten an «bewährten Werten»

Dennoch: Die gesellschaftspolitische Haltung der EVP ist dezidiert konservativ. Gegen die Fristenlösung, gegen die Homo-Ehe, gegen die Legalisierung von weichen Drogen. Fühlen sich die jungen Christen manchmal nicht etwas aus der Zeit gefallen?

«Definitiv nicht», sagt Seibert. Er verstehe die gesellschaftliche Entwicklung. «Ich möchte aber auch sagen: Mehr Freiheit kann dazu führen, dass man ein Verhalten entwickelt, das nicht immer hilft.» Für Zürcher wiederum ist klar, dass sich viele Menschen nach den Werten der Bibel sehnten: «Ob sie es zugeben oder nicht. Es sind bewährte Werte, nach denen wir gut leben können.»

Ein schwieriger Spagat

Die EVP vertritt aber nicht einfach nur konservative Positionen, sondern mindestens so häufig auch progressive. In sozialen Fragen, in der Umwelt-, der Migrations- und Aussenpolitik gehört sie zum links-grünen Lager. Dieser Spagat ist schwierig zu vermitteln.

In 100 Jahren ist die EVP nie über den Status einer Kleinpartei hinausgekommen. Aber auch Kleine können Grosses leisten, betont Seibert. Zum Beispiel sei es der EVP zu verdanken, dass die Gewissensprüfung für Zivildienstleistende abgeschafft wurde: «Manchmal ist nicht entscheidend, wie gross die Partei ist, die eine Idee hat. Gute Ideen setzen sich durch.»

«Und überhaupt», doppelt Myrjam Zürcher nach: «Auch ein Tropfen auf einen heissen Stein ist ein Tropfen.» Und steter Tropfen höhlt den Stein – das steht zwar nicht in der Bibel, stimmt wohl aber trotzdem.

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