Es war eine der schwersten Naturkatastrophen der Schweiz in den letzten Jahrzehnten: Am 14. Oktober 2000 donnerte auf der Südseite des Simplonpasses ein gewaltiger Erdrutsch ins Tal. Ein Drittel des Dorfes Gondo wurde zerstört, 13 Menschen kamen dabei ums Leben. Zwei der Opfer wurden bis heute nicht gefunden.
Nächste Woche jährt sich die Katastrophe zum 25. Mal. Für die Einwohnerinnen und Einwohner von Gondo ist dieser Jahrestag wichtig: «Man spürt den Zusammenhalt im Dorf. So ein Ereignis schweisst zusammen», sagt Annemarie Squaratti. Sie lebt mit ihrem Mann Simon noch immer in Gondo - in einem der neu aufgebauten Häuser.
Die ersten Monate nach der Rückkehr sei es ihr schon etwas mulmig zumute gewesen, sagt Annemarie Squaratti. «Aber Angst habe ich nicht mehr.» Heute seien die Hänge oberhalb des Dorfes so gut gesichert, dass das Dorf normal leben könne. «Die Zukunft sieht gut aus», sagt sie.
Schuldzuweisungen fehl am Platz
Der damalige Gemeindepräsident von Gondo, Roland Squaratti, erinnert sich an das Ereignis, als ob es gestern gewesen wäre. «Vor der Katastrophe regnete es in Sturzfluten, wie ich sie vorher noch nie gesehen hatte», erzählt er. Die Wassermassen hätten Elemente einer Steinschlagschutzmauer mit sich gerissen. Die Elemente dieser Mauer hätten wie Rasierklingen Häuser niedergemäht.
Wenn wir einen Schuldigen ausgemacht hätten, hätte das auch keinen der 13 Toten wieder lebendig gemacht.
Aus heutiger Sicht hätte man diese Stützmauer wahrscheinlich anders gebaut, glaubt Roland Squaratti. Dennoch will er nicht von einem Konstruktionsfehler sprechen. Und auch Schuldzuweisungen seien im Dorf nicht gemacht worden. Die Menschen hätten mit der Katastrophe schon genug zu kämpfen gehabt. «Wenn wir einen Schuldigen ausgemacht hätten, hätte das auch keinen der 13 Toten wieder lebendig gemacht», so Squaratti.
In Gondo leben heute noch 75 Personen – halb so viele wie vor der Katastrophe. Und der Familienname Squaratti begegnet einem immer wieder. Gemeindepräsident von Gondo-Zwischenbergen ist heute Daniel Squaratti, ein Neffe des damaligen Gemeindepräsidenten. Er war zum Zeitpunkt der Katastrophe 16-jährig und erfuhr am Telefon, dass sein Vater nach dem Bergsturz als vermisst gemeldet wurde. «Zuerst habe ich noch die Hoffnung gehabt, dass er gefunden wird», sagt er. Doch nach einigen Tagen sei die Hoffnung der Gewissheit gewichen, dass sein Vater ums Leben gekommen war.
Wegzug war kein Thema
Trotz der persönlichen Tragödie kam es für Daniel Squaratti nicht infrage, dem Dorf den Rücken zu kehren. «Schlussendlich ist das unsere Heimat. Dieses Gefühl hat man nur an einem Ort», sagt er. Von daher kommt auch sein heutiges Engagement als Gemeindepräsident. «Ich habe das Amt nicht gesucht, aber es hat sich so ergeben.» Wenn man als Gemeinde eigenständig bleiben und eine Zukunft haben wolle, müsse man auch etwas investieren.
Der alljährliche Gedenktag am 14. Oktober ist auch für Daniel Squaratti wichtig: «Das hilft auch bei der Verarbeitung», sagt er. Für die Angehörigen der Opfer sei es ein Moment, um dessen zu gedenken, was hier Schlimmes passiert ist. So könne man die Katastrophe in Erinnerung behalten, sagt Squaratti. «Das hilft einem auch, das zu schätzen, was man heute hat.»