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30 Jahre nach GSoA-Initiative Der Tanz um die «heilige Kuh» hat nie aufgehört

1989 war eine historische Zeitenwende. Die Diskussion um die Schweizer Armee ebbt aber bis heute nicht ab.

«Nestbeschmutzer» gegen «Militärköpfe»: Die Debatte um die Schweizer Armee weckt bis heute vor allem Emotionen – 30 Jahre nach der Grundsatzfrage an der Urne: Am 26. November 1989 stimmten 35,6 Prozent für die Abschaffung der Armee. Ein politisches Erdbeben für die Schweiz – zwei Wochen nach dem Fall der Berliner Mauer.

Reform um Reform

Die Abstimmung fiel mitten in eine Zeitenwende: das Ende des Kalten Kriegs. Mit dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts schien die Bedrohung aus dem Osten gebannt zu sein. Eine «neue Weltordnung» versprach das «Ende der Geschichte». Die Schweizer Armee geriet in eine Identitätskrise über ihre Rolle in der Gesellschaft und in der Sicherheitspolitik.

Seither haben drei Reformen die Bestände von einst fast 700'000 Mann auf 100'000 reduziert. Es gibt einen zivilen Ersatzdienst, der den Militärdienst faktisch freiwillig macht. Dazu eine schier unendliche Debatte über die Ausrichtung der Armee: Die Internationalisten setzten auf Auslandseinsätze, die Traditionalisten auf den gepanzerten Alleingang – und die Armeeführung bietet die Leistungen der Truppen den zivilen Behörden im Innern an.

«Eine Armee der Vaterland-Besitzer»

Im Kern ging es in der Debatte um das Militär, aber stets auch um die politischen Befindlichkeiten: Im Ersten Weltkrieg zerbrach die Schweiz beinahe am deutsch-französischen Gegensatz im Offizierskorps. Es folgten Ordnungsdiensteinsätze gegen Streikende und Demonstrierende. 1932 erschossen Soldaten in Genf 13 Zivilisten.

Erst die Bedrohung durch die Nationalsozialisten und die Wahl Henri Guisans zum General brachten schliesslich einen – oberflächlichen - Burgfrieden zwischen Bürgerlichen und Sozialdemokraten. Doch die emotionale Entfremdung blieb bestehen, literarisch verdichtet ausgedrückt in Max Frischs «Dienstbüchlein»: «Eine Armee der Vaterland-Besitzer, die sich Unsere Armee nennt.»

Herausforderung Sicherheitspolitik

Diese Stimmung hat die GSoA (Gruppe für eine Schweiz ohne Armee) in den 1980er-Jahren aufgenommen. Die bürgerliche Schweiz dagegen gedachten im Abstimmungsjahr 1989 dem Aktivdienst im Zweiten Weltkrieg: Die «Diamant»-Feiern auf der einen und das «Stop the Army»-Festival auf der anderen Seite manifestierten zwei grundsätzlich andere Sichtweisen auf die Schweiz und ihre Armee.

Davon hat sich die Schweizer Sicherheitspolitik seither kaum gelöst, obschon sich die Welt in den letzten dreissig Jahren dramatisch verändert hat und damit auch die Bedrohungen: neue Grossmachtpolitik mit hybrider Kriegsführung, Klimawandel oder Attacken im Cyber- und Informationsraum sind auf komplexe Weise miteinander verbunden.

Versachlichung mit neuer VBS-Chefin

Sicherheitspolitik ist deshalb heute mehr denn je ein Zusammenspiel unterschiedlichster Akteure und Instrumente. Die Armee ist eines davon. In den nächsten Jahren werden ihre Waffensysteme grundlegend erneuert: Die Debatte um einen neuen Kampfjet als Multifunktionsplattform läuft bereits, Anfang dieses Jahr wird ein Bericht über die «Operationssphäre Boden» erwartet, also über den robusten Kern der Armee.

Mit Viola Amherd (CVP) hat nun eine armeepolitisch unbelastete Politikerin das VBS übernommen. Links und rechts trauen ihr zu, die Armee aus den Emotionen der Vergangenheit herauszuführen und so die schweizerische Sicherheitspolitik zu versachlichen. Ihre wohl grösste Herausforderung ist wohl die «Wehrgerechtigkeit»: 72 Prozent stimmten 2013 für die Milizarmee, doch nur noch die Hälfte der Männer geht hin. Viola Amherd steht also nicht nur vor der Frage: Welche Armee braucht die Schweiz? Sondern auch: Wer soll diesen Militärdienst leisten?

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