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Abkommen mit der EU EU-Verhandlungen: Zankapfel Ständemehr entzweit bereits Gemüter

Das definitive EU-Verhandlungsmandat ist noch nicht beschlossen, doch schon entbrennt Streit über die Abstimmung.

Noch bevor das definitive Mandat für die Verhandlungen mit der EU steht, gibt die Abstimmung darüber zu reden. Europarecht-Expertinnen und -Experten, parlamentarische Kommissionen und die SVP streiten sich, ob die Vorlage die Mehrheit der Stimmen von Volk und Ständen benötigt oder nicht.

«Keine supranationalen Elemente»

Die neuen EU-Verträge müssten nicht von Volk und Kantonen angenommen werden, sagt Astrid Epiney, Professorin für Europarecht an der Universität Freiburg. Für das Vertragspaket mit der EU brauche es nur die Zustimmung des Volkes. Die Europarechtlerin argumentiert mit der Verfassung; diese sehe für Staatsverträge nur in bestimmten Fällen ein obligatorisches Referendum vor.

Die Verfassung sieht ein obligatorisches Referendum ausschliesslich für den Beitritt zu supranationalen Institutionen vor.
Autor: Astrid Epiney Professorin für Europarecht. Universität Freiburg

Die doppelte Zustimmung brauche es für einen Beitritt in internationale Gemeinschaften wie die EU: «Die Verfassung sieht ein obligatorisches Referendum ausschliesslich für den Beitritt zu supranationalen Institutionen vor. Beim Verhandlungsergebnis, wie wir es heute kennen, gibt es keine supranationalen Elemente.» Astrid Epiney ist eher pro-europäisch eingestellt, sie war Mitglied des EU-freundlichen Netzwerks ProgreSuisse. Im Entwurf des Verhandlungsmandats mit der EU sieht sie keine Inhalte, die zwingend das Ständemehr rechtfertigen würden. 

«Ausgerechnet die Schweiz»

Anderer Meinung ist Carl Baudenbacher, lange Präsident des EFTA-Gerichtshofes und ein Kritiker des aktuellen Mandatsentwurfs. Die Schweiz müsse weiterhin EU-Recht übernehmen und in Streitfällen werde der Gerichtshof der EU das letzte Wort haben: «Das Gericht der Gegenseite hat noch nie jemand in Europa anerkannt, mit Ausnahme von vier Sowjetrepubliken.»

Ausgerechnet die Schweiz, die so ein Theater wegen der fremden Richter gemacht hat, ist das erste westliche Land, das zu so etwas Hand bietet.
Autor: Carl Baudenbacher Ehemaliger Präsident des EFTA-Gerichtshofes

Er meint Georgien, Armenien, Moldau und die Ukraine. Diese ehemaligen Sowjetrepubliken habe die EU damit an die Hand nehmen wollen, weil sie wirtschaftliche Schwierigkeiten und Korruptionsprobleme gehabt hätten: «Und ausgerechnet die Schweiz, die so ein Theater wegen der fremden Richter gemacht hat, ist das erste westliche Land, das zu so etwas Hand bietet.»

Was sind der EFTA-Gerichtshof und das EUGH?

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Der EFTA-Gerichtshof ist ein Gericht für die EFTA-Staaten. Er wurde von der Europäischen Union nach dem Beitritt der drei EFTA-Mitgliedstaaten Norwegen, Island und Liechtenstein zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) errichtet, um die einheitliche Anwendung des EU-Rechts in diesen drei Staaten zu sichern. Das EUGH ist der Europäische Gerichtshof, das Gericht der Europäischen Union. Beide Institutionen haben ihren Sitz in Luxemburg.

Auch vom Schiedsgericht hält der Europa-Experte nicht viel; es käme bei Streitereien zur Auslegung der Abkommen zum Zug. Obwohl es mit Richtern beider Seiten besetzt werden soll, ist das Schiedsgericht für ihn nur ein Durchlauferhitzer; es könne höchstens die Urteile des EUGH abstempeln. Dass die Schweiz in Brüssel noch Ausnahmen bei der Rechtsübernahme verhandeln kann, hält Baudenbacher für unrealistisch, dafür sei es zu spät. Den Entwurf des Verhandlungsmandats beurteilt er als ersten Schritt zum EU-Beitritt. Deshalb seien Volk- und Ständemehr zwingend. 

 «Mehrheit der Kantone zwingend»

Auch die SVP finde eine doppelte Mehrheit bei einer Abstimmung notwendig, sagt der künftige SVP-Präsident, Nationalrat Marcel Dettling: «Wenn wir diesen Rahmenvertrag unterzeichnen, dann ist die Schweizer Souveränität in vielen Bereichen dahin, und deshalb muss zwingend auch die Mehrheit der Kantone zustimmen. Oder sie muss ihn eben ablehnen, das wäre meine Hoffnung.»

Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher ist Mitglied der Wirtschaftskommission. Für sie ist es auch eine Frage des Anstands den Kantonen gegenüber, vor allem den kleineren: «Wir haben dieses ausgewogene Balancesystem in der Schweiz. Wir werfen es doch nicht einfach zu Gunsten der EU über Bord.»

Im Frühling will der Bundesrat das definitive Mandat verabschieden und dann die Verhandlungen mit der EU beginnen.

Echo der Zeit, 13.02.2024, 18 Uhr

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