Abstimmungsreform - Differenziert antworten: Ja oder Nein ist nicht genug
Basel-Stadt tüftelt an einem Abstimmungs- und Wahlsystem, welches mehr als nur das Ja oder das Nein zulässt. Bei Wahlen könnte eine Rangliste erstellt werden, bei Abstimmungen wären auch ein «eher Ja» oder ein «eher Nein» möglich.
Ja oder Nein – zwischen diesen beiden Antworten müssen sich die Schweizer Stimmberechtigen meist entscheiden. Sie müssen eine klare Antwort geben und das «Dazwischen» ausblenden.
Legende:
Seit 1971 dürfen auch Frauen zur Urne. Das Abstimmungs- und Wahlsystem selbst hat sich aber seit 1848 kaum verändert.
APA/GEORG HOCHMUTH
Doch genügt das, um zu verstehen, was eine Bevölkerung wirklich will? Das möchte der Kanton Basel-Stadt untersuchen. Er strebt eine Wahlrechtsreform an. «Die Regierung braucht eine gesetzliche Grundlage, damit sie sich überhaupt mit einem solchen Thema auseinandersetzen darf», sagt Patrick von Hahn von der Basler Staatskanzlei.
Erste Erkenntnisse gibt es aber bereits. Der Verein Demokratielabor führte nämlich zusammen mit der Berner Fachhochschule eine Untersuchung durch, anlässlich realer Abstimmungen und Wahlen.
Gleiche Resultate, aber mehr Enthusiasmus
Bei einer Testgruppe aus Stimmberechtigten wandte das Demokratielabor das «Fuzzy Voting» an, das unscharfe Abstimmen: Sie konnte nicht nur Ja oder Nein zu einer Frage sagen, sondern auf einer Skala angeben, wie stark die Zustimmung oder Ablehnung ist.
«Die Welt der Demokratie ist seit Jahrhunderten eine Werkstatt»
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Legende:
Bruno Kaufmann ist Nordeuropa- und globaler Demokratiekorrespondent von SRF.
SRF
Einschätzungen von Bruno Kaufmann, globaler Demokratiekorrespondent SRF
Als die Isländerinnen und Isländer vor gut zwölf Jahren über eine neue Verfassung an der Urne abstimmen konnten, hatten sie die Qual der Wahl: In sechs Richtungen konnten sie zur genauen Wortwahl Stellung beziehen. Noch mehr in die differenzierte Entscheidungspflicht wurden die fünf Millionen Stimmberechtigten des US-Bundesstaates Arizona im letzten November genommen: Auf ihrem Stimmzettel galt es nicht weniger als 71 Beschlüsse zu fällen – eine davon war die Wahl des neuen US-Präsidenten.
Die Welt der Demokratie ist seit Jahrhunderten eine globale Werkstatt, in der immer wieder von Neuem etwas ausprobiert, eingeführt und dann manchmal auch wieder abgeschafft wird: Bekannte Beispiele für Innovationen in der Schweiz, die per Volksentscheid eingeführt und dann wieder abgeschafft worden sind, sind die allgemeine Volksinitiative (2003/2009) oder das konstruktive Referendum im Kanton Zürich (2006/2013). In beiden Fällen zeigte sich, dass sich die angestrebte Vertiefung der Bürgerbeteiligung letztlich als wenig praxisfreundliche Verkomplizierung erwies.
«Unscharfes Abstimmen» («Fuzzy Voting») und «differenzierte Wahlverfahren» («Ranked Choice»), wie sie gegenwärtig in Basel erwogen und untersucht werden, gibt es in verschiedenen Formen bereits in zahlreichen Ländern und Regionen der Welt. Die Erfahrungen damit sind in der Praxis genau so: Unscharf und differenziert. So führen zum Beispiel gradierte Abstimmungen nicht selten zu unklaren Mehrheiten in Abstimmungen, die im nachfolgenden Umsetzungsprozess zu viel Frust führen. Das Wählen mit Reihenfolge macht nicht nur den Auszählprozess fehleranfälliger, sondern schwächt bisweilen auch die Transparenz.
Zusammengefasst: Neue Formen der Mitbestimmung eignen sich durchaus im meinungsbildenden Umfeld von Wahlen und Abstimmungen, während die Urnenentscheid selbst so einfach und deutlich wie möglich ausgestaltet sein sollten.
Resultat: Es gab dasselbe Ergebnis bei der Testgruppe wie bei der richtigen Abstimmung. Einen Unterschied gab es dennoch: Das System «Fuzzy Voting» kam bei jenen Personen besonders gut an, die nicht an jeder Abstimmung teilnehmen. «Das ist ein Indikator dafür, dass diese Menschen mit einem neuen System häufiger abstimmen würden», sagt Elias Schäfer, Präsident des Vereins Demokratielabor.
Zweiter Wahlgang wäre nicht nötig gewesen
Etwas differenzierter war das Resultat bei Wahlen. 2024 bestimmten die Baslerinnen und Basler ihre Regierung neu. Statt nur anzugeben, wen sie in die Regierung wählen wollten, erstellten die Testpersonen ein Ranking der Kandidatinnen und Kandidaten.
Auslöserin: Die aktuelle Baudirektorin
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Legende:
Das System werde der zunehmenden Komplexität nicht gerecht, argumentierte die damalige Grossrätin Esther Keller. «Das binäre System lässt keine differenzierte Äusserung zu.»
Keystone/Georgios Kefalas
Dass sich die Basler Regierung mit neuen Wahl- und Abstimmungsformen beschäftigt, geht auf einen Vorstoss der heutigen Baudirektorin Esther Keller zurück. Als Grossrätin machte sie 2019 den Vorstoss «Demokratie 2.0». Keller argumentierte unter anderem mit Bauprojekten: Man könne der Stimmbevölkerung verschiedene Projekte vorlegen, anstatt nur ein Ja oder Nein für ein einzelnes Projekt abzuholen. Auch bei anderen Abstimmungen sei ein neues System hilfreich. Derzeit würden nach Abstimmungen «aufwendige Umfragen durchgeführt, um herauszufinden, weshalb die Bevölkerung eine Vorlage verworfen hat und wie man eine neue Vorlage gestalten müsse, damit sie eine Mehrheit findet – statt ein Abstimmungssystem zuzulassen, das eine differenziertere Stimmabgabe ermöglicht», schrieb sie in ihrem Vorstoss.
Nach den realen Wahlen und dem Test bilanziert Schäfer: «Es wären zwar dieselben Personen gewählt worden, aber man hätte auf den 2. Wahlgang verzichten können. Bereits nach dem 1. Wahlgang wäre nämlich klar gewesen, wen die Leute im 2. Wahlgang gewählt hätten.»
Das Wahl- und Abstimmungssystem sei in der Schweiz seit mehr als 100 Jahren gleich, sagt Schäfer und hofft, dass die Forschung für neue Formen weitergeführt wird.
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