Politisch ticken Städte anders als ländliche Regionen. Das zeigte sich Mitte Juni: Die grossen Städte standen in ihrer Unterstützung für drei zur Abstimmung gestellten Umweltvorlagen alleine da. Immer wieder wird der Stadt-Land-Graben heraufbeschworen – auch während der Corona-Pandemie. Vorwürfe gibt es von hüben wie drüben. Renate Amstutz kennt sie zur Genüge.
Die Bernerin gibt nach 13 Jahre ihr Amt als Direktorin des Schweizerischen Städteverbandes ab. Im Gespräch spricht sie über das Imageproblem der Städte und die Herausforderungen der Zukunft. Und sie verrät, weshalb die Bezeichnung «Mutter aller Städte» zu ihr passt.
SRF News: Immer wieder ist vom Stadt-Land-Graben die Rede. Haben Städte ein Imageproblem?
Renate Amstutz: Das ist durchaus so. Aber man darf nicht vergessen: Seit 2000 zieht es die Leute wieder in die Städte, die Bevölkerungszahlen wachsen. Also kann es mit dem Imageproblem nicht so weit her sein, die Leute finden die Stadt attraktiv. Es ist der Wunsch nach der Nähe von ganz unterschiedlichen Möglichkeiten; zum Arbeiten, zum Wohnen, für die Freizeit, die Bildung und so weiter. Das schlechte Image wird von gewissen Kreisen gerne kultiviert.
Es gibt immer wieder Diskussionen zwischen Städten und den ländlichen Regionen. Haben Sie es als Direktorin des Städteverbandes verpasst, diese Gräben zuzuschütten?
Wir haben das nicht verpasst, wir konnten das gar nicht. Die Gräben werden bewusst bewirtschaftet und damit gefördert. Der Städteverband hat immer versucht, den Städten eine Stimme zu geben. Eine Polarisierung zwischen Stadt und Land war nie das Ziel.
Eine Polarisierung zwischen Stadt und Land war nie das Ziel.
Ich bedaure, dass das Thema um den Graben bewusst bewirtschaftet wird, gerade im Hinblick auf Wahlen. In der Schweiz sind wir jedoch alle aufeinander angewiesen, es sollte keinen Platz haben für polemische, populistische und polarisierende Diskussionen.
Was ist aus Ihrer Sicht die grösste Herausforderung für die Städte?
Die allergrösste Herausforderung für alle ist der Klimawandel. Und das gilt global. Das gilt nicht nur für die Städte, das gilt für alle und alles. Das ist das, was uns in den nächsten Jahren sehr beschäftigen wird. Daneben gibt es eine ganze Reihe von Themen: unter anderem Verkehrsfragen und raumplanerische Aspekte. In Zukunft wird aber auch wichtig sein, dass sich mehr Leute an der Gestaltung der Städte beteiligen können. Die Leute müssen motiviert werden, sich einzubringen.
Als Direktorin des Städteverbandes waren Sie Lobbyistin der Schweizer Städte. Sie wurden aber auch schon als «Mutter aller Städte» bezeichnet. Was gefällt ihnen besser: Lobbyistin oder Mutter aller Städte?
Das ist eine lustige Frage. Ich bin effektiv eine Lobbyistin gewesen. Aber Politologe Claude Longchamp hat mich einmal als «Mutter aller Städte» bezeichnet und ich glaube, das trifft einen Teil meines Wesens. Ich habe immer versucht, zu anderen zu schauen, gerade auch in meinem Team.
Ich wollte nicht zuvorderst in der Reihe stehen.
Weshalb sind Sie nicht selber Politikerin geworden?
Ich bin ein paarmal gefragt worden, ob ich ein politisches Amt übernehmen möchte. Ich habe es mir immer wieder überlegt und am Schluss Nein gesagt. Mir war es immer wichtiger, Politikerinnen und Politiker in ihren Entscheidungen zu unterstützen. Ich wollte nicht zuvorderst in der Reihe stehen. Wahrscheinlich hätte ich das schlecht vertragen. Rückblickend denke ich, dass ich am richtigen Ort war.
Eben: Die Mutter aller Städte?
(lacht) Ja, wohl schon.
Das Gespräch führte Thomas Pressmann.