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Wissenschaftliche Perspektive «Das Konzept des Stadt-Land-Grabens funktioniert nicht»

Was ist eine Stadt? Eigentlich eine simple Frage. Aber es steckt sehr viel mehr dahinter. Nicht zuletzt viel Politik. Wenn zum Beispiel vom Stadt-Land-Graben die Rede ist, wie zuletzt bei der SVP. Dabei verwischen die Grenzen mit den Jahren immer mehr, sagt der Politologe Philippe Koch.

Philippe Koch

Politikwissenschafter

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Koch ist Dozent für Stadtforschung an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ( ZHAW ).

SRF News: Was ist eigentlich eine Stadt?

Philipp Koch: Wir nutzen den Begriff ganz selbstverständlich im Alltag, und wenn wir ihn nutzen, gehen wir davon aus, dass für alle klar ist, was damit eigentlich gemeint ist. Und gleichzeitig zeigt sich aber, dass für unterschiedliche Menschen Stadt ganz Unterschiedliches bedeutet.

Diese drei Definitionen von Stadt gibt es

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In der Stadtforschung werden drei Dimensionen unterschieden, wenn man über Städte spricht. Und meist wird dort, wo sich diese Dimensionen überlappen, so etwas wie eine Stadt vermutet. Die erste ist die, die wahrscheinlich bei den meisten rasch Assoziationen weckt: die gebaute Stadt . Dort, wo es viele Gebäude gibt, Infrastruktur, viel Stein, Asphalt, Parkplätze, Autos etc. Das ist die physische Stadt, die man auch berühren kann.

Dann gibt es die erlebte, die soziale Stadt . Das ist dort, wo man sich aufhält, wo man Erfahrungen sammelt, mit Leuten in Kontakt kommt. Dort wird oft der Begriff der Urbanität verwendet. Und schliesslich ist die symbolische Stadt , die im Mittelalter begann, die Freiheit der Möglichkeiten, aber auch Angst und Befürchtungen – also das, was man mit Stadt in Verbindung bringt, die dritte Dimension, die man versucht, auch begrifflich zu fassen.

Wie unterscheidet sich die wissenschaftliche Definition von dem, was wir im allgemeinen Sprachgebrauch als Stadt bezeichnen?

Im allgemeinen Sprachgebrauch ist man sich einfach nicht bewusst, dass es diese drei Dimensionen gibt und dass diese auch sehr unabhängig voneinander auftreten können. Im allgemeinen Sprachgebrauch gibt es eine Selbstverständlichkeit, dass diese drei Dimensionen quasi immer vorhanden sind. In den letzten Jahren gab es immer mehr Prozesse, bei denen man feststellte, dass diese drei Dimensionen auch unabhängig voneinander auftreten können. Dort fällt es dann schwer, wirklich von Stadt zu sprechen, oder man weiss nicht: Ist es jetzt eine oder nicht? In der Schweiz wird damit typischerweise die Agglomeration bezeichnet.

Gibt es eine trennscharfe Definition? Ab dieser Anzahl an Einwohnern ist es eine Stadt, und wenn die Zahl darunter liegt, eben keine?

Es gibt den Versuch, das statistisch abschliessend zu fassen. Man sagt, dass jede selbständige politische Gemeinde, die mehr als 10'000 Einwohnerinnen und Einwohner hat, eine Stadt ist. Aber das ist natürlich eine sehr schematische Definition, die meist überhaupt nichts mit dieser symbolischen Ebene zu tun hat. Es ist einfach rein statistisch eine Stadt.

Ist es jetzt eine Stadt oder nicht? In der Schweiz wird damit typischerweise die Agglomeration bezeichnet.
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Kommt es darauf an, ob wir eine Gemeinde als Stadt bezeichnen? Ergeben sich daraus bestimmte Vorteile? Nachteile?

Ja, es gibt gewisse Städte, gewisse Gemeinden, die wehren sich, als Stadt bezeichnet zu werden, beispielsweise Wettingen oder Baar, die immer wieder sagen, obwohl sie eine Stadt sind statistisch, dass sie keine Stadt sein möchten. Es kommt darauf an, in welchem Kanton die Gemeinden liegen. Es gibt gewisse Kantone, in denen es so etwas wie ein Zentrallastenausgleich gibt auf Gemeindeebene. Und da ist es von Vorteil, wenn man als Stadt gilt. Aber in den meisten Kantonen nicht.

Funktioniert das Konzept des Stadt-Land-Grabens aus wissenschaftlicher Perspektive?

Meines Erachtens funktioniert es nicht, weil die Trennung eigentlich noch nie wirklich die zwischen Stadt und Land war, dieser Graben ist einer von mehreren Gräben, und in der Schweiz war das nie der wichtigste Graben.

In der Schweiz gibt es kaum noch Gemeinden, die nicht auch Teil eines urbanisierten Gebietes sind.
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Der Zentrum-Peripherie-Graben beispielsweise. Das, was viel wichtiger ist, ist, dass diese Grenzen zwischen Stadt und Land sich komplett verwischt haben in den letzten 50 Jahren – jetzt nicht nur physisch, morphologisch, sondern auch sozial und symbolisch. Im Prozess der letzten Urbanisierung. Das heisst, es gibt eigentlich keine klaren Abgrenzungskriterien mehr, ob jetzt eine Gemeinde Dietikon, Zürich, Wallisellen oder Frauenfeld ist. Sind es jetzt Städte oder ist das Land? Es sind einfach gut organisierte Gebiete. Und in der Schweiz gibt es kaum noch Gemeinden, die nicht auch Teil eines urbanisierten Gebietes sind.

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

Echo der Zeit, 04.10.2021, 18:00 Uhr ; 

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