Die Schweiz stimmt am 19. Mai über den sogenannten AHV-Steuer-Deal ab, das Gesetz, das die Unternehmenssteuerreform mit der AHV-Finanzierung verknüpft.
Vor der eidgenössischen Abstimmung hat der Kanton Waadt ein ähnliches Gegengeschäft bereits teilweise umgesetzt: Steuern wurden gesenkt, dafür gibt's mehr Prämienverbilligungen und mehr Geld für die Kinderbetreuung. Die Folge ist jedoch vorerst ernüchternd: Mehrere Waadtländer Gemeinden stecken in finanziellen Schwierigkeiten.
Den Gemeinden fehlt das Geld
Besonders hart traf es die Gemeinden in der Region La Côte. Es fehle Geld, sagt Daniel Rossellat, Stadtpräsident von Nyon. Rolle geht es noch schlechter: Die Kleinstadt müsse Investitionen blockieren und Kredite aufnehmen, um laufende Ausgaben wie Löhne zu bezahlen, erklärt Stadtpräsident Denys Jaquet.
Die vorzeitige Einführung der Steuerreform kostet die Waadtländer Gemeinden 130 Millionen Franken – der Kanton entschädigt sie aber lediglich mit 50 Millionen. Die beiden Gemeinden kritisieren den Kanton Waadt deshalb scharf und verlangen mehr Ausgleich.
Weniger Einnahmen, mehr Ausgaben
Rolle, Nyon und weitere Gemeinden plagt ein zusätzliches Problem. Wegen ihres tiefen Steuerfusses und ihrer gleichzeitig hohen Steuereinnahmen, die sie dank der ansässigen Firmen generieren, müssen sie viel an den innerkantonalen Finanzausgleich und die Sozialausgaben des Kantons beisteuern. Genau diese Sozialausgaben sind mit dem Waadtländer Kompromiss bei der Unternehmenssteuerreform allerdings angestiegen.
Weniger Steuereinnahmen und mehr Sozialausgaben an den Kanton – eine doppelte Belastung für die Gemeinden. Um dieses Dilemma zu lösen, wollten Rolle und Nyon die Steuern erhöhen – vergeblich. In Rolle sagte das Gemeindeparlament Nein, in Nyon Ende März das Stimmvolk.
Der Waadtländer Finanzdirektor Pascal Broulis will noch keine Bilanz ziehen zur vorzeitigen Einführung der Unternehmenssteuerreform. Aber auch er räumt ein, dass es für Gemeinden wie Rolle eine Lösung braucht: «Rolle hat den Grossteil seiner Steuereinnahmen von Firmen und wird dafür bestraft. Alles was Rolle einnimmt, muss es in den Finanzausgleich geben. Dafür müssen wir eine Lösung finden».
Kanton versus Gemeinden
Über die Lastenteilung zwischen Kanton und Gemeinden wurde in der Waadt schon vor der Unternehmenssteuerreform gestritten. Noch vor 20 Jahren war der Kanton hoch verschuldet und galt als Schlusslicht in der Romandie. Die Gemeinden hingegen waren reich. In den letzten Jahrzehnten baute das Waadtland jedoch die Schulden fast vollständig ab – auch weil sich die Gemeinden stärker an den Sozialkosten beteiligten. Heute steht der Kanton sehr gut da, dafür geraten erste Gemeinden in Schieflage.
Gemäss Waadtländer Modell sind die Gemeinden reine Zahler, die für die steigenden Sozialkosten aufkommen. Nur der Kanton entscheidet, wer was erhält. Für Nils Soguel, Professor am Institut für öffentliche Verwaltung (IDHEAP) an der Universität Lausanne, ist klar: «Die Aufteilung der Sozialrechnung in der Waadt ist Gift für die Demokratie.»
Trotz aller Probleme wird die kantonale Unternehmenssteuerreform selbst in Rolle und Nyon bis heute befürwortet. Aber: Nicht in diesem Tempo und mit mehr Ausgleichsmassnahmen. Sicher ist: Im Pionierkanton Waadt hat die Reform das Gleichgewicht zwischen den Gemeinden und dem Kanton ins Wanken gebracht.