Ein Dossier aus dem Bundesarchiv mit dem Namen «Crypto AG» war bis heute unauffindbar gewesen. Jetzt ist es im Bundesarchiv wieder aufgetaucht. Das dünne Dossier wurde bei der Rückgabe falsch eingeordnet. Bei der Menge an Dokumenten, die aneinandergereiht 60 Kilometer Länge erreichen, kann dies bedeuten, dass einzelne Unterlagen kaum oder nur durch Zufall wiedergefunden werden.
Doch noch immer fehlen 72 andere Dossiers. Simon Meyer, Sprecher des Bundesarchivs, bestätigt diese Zahl, stellt sie aber in Relation mit rund fünf Millionen archivierten Dossiers. Eine Liste mit den fehlenden Dokumenten hat die «Rundschau» im Zuge der Recherchen um die Crypto AG erhalten.
Bei den unauffindbaren Dokumente handelt es sich um verschiedenste Verwaltungsunterlagen. Es fehlen aber auch einige heikle Dossiers zu Terrorismus, Linksextremismus oder den Nachrichtendiensten.
Bundesarchiv als sicherer Hort
«Es gibt zwar eine riesige Menge Akten, die nach wie vor im Bundesarchiv liegen. Dass aber gerade essenzielle Bundesordner fehlen, ist in diesem Bereich kein Zufall», meint Jakob Tanner, emeritierter Professor für Geschichte.
Mit «diesem Bereich» meint der Historiker Staatsschutz, Bundespolizei und Geheimdienste. «Die Schweiz ist da im Spannungsfeld von grossen Mächten eingebunden», sagt Tanner. Das neutrale Selbstbild der Schweiz befinde sich nicht selten im Konflikt dazu.
Darum sei die Versuchung gross, brisante Informationen zurückzuhalten. Die Bundesverwaltung würde dabei bereits archivierte Dossiers ausleihen und bei sich zurückhalten. Dort sind sie «geschützt» und Historikerinnen und Medienschaffende können diese Akten nicht mehr im Bundesarchiv einsehen.
Dokumente wurden auch schon vernichtet
In Extremfällen werden Akten vor ihrer Archivierung sogar physisch vernichtet. So geschehen Ende der 1990er Jahre, als der ehemalige Nachrichtendienstchef Peter Regli Akten vernichten liess, welche die militärische und nachrichtendienstliche Kooperation zwischen der Schweiz und dem Apartheit-Regime in Südafrika belegten.
«Die Dokumente sind jetzt einfach nicht mehr hier», sagt Tanner nicht ohne Reue. Diese Dokumente hätten dem Bundesarchiv übergeben werden sollen.
In einem anderen Fall wollte der Bundesrat das Fichen-Archiv vernichten, doch durch die Intervention des Bundesarchivars konnte das verhindert werden.
Strafrechtlichen Vergehen?
Der Basler Antikorruptionsexperte und Strafrechtler Mark Pieth erklärt, dass beim Verschwindenlassen von Akten verschiedene Vergehen infrage kommen. Dazu gehörten Verstösse gegen das Archivierungsgesetz, aber auch Amtsmissbrauch, Urkundenunterdrückung, Decken von Spionage oder Begünstigung. Das sind alles strafrechtlich relevante Vergehen.
Nichtsdestotrotz: «Wir haben ein funktionierendes Archivwesen in der Schweiz», schätzt Tanner. Dass aber regelmässig Akten verschwinden, bringe die Forschungsfreiheit in Gefahr. Dem könnte dadurch entgegengewirkt werden, dass die Akten nur im Bundesarchiv einsehbar wären. Die ordentliche Schutzfrist für Unterlagen im Bundesarchiv beträgt 30 Jahre.
«10vor10», 18.02.2020, 21.50 Uhr; frol