«Wie wollen wir den 40. Geburtstag des Discherheims feiern?», fragt die Betreuerin Eva Spahr in die Runde. Die Frage richtet sich nicht etwa an die Geschäftsleitung, sondern an neun Bewohnerinnen und Bewohner des Heims. Sie alle haben eine geistige Behinderung und sind teils auch körperlich beeinträchtigt. Sie sind Teil des Klienten- und Klientinnenrats und dürfen bei verschiedenen Themen mitbestimmen.
Bereits entschieden ist, dass es nicht ein grosses Fest gibt, sondern jeden Monat etwas Kleineres. «Ich will ein Feuerwerk», ruft einer begeistert. In den Europapark gehen oder ein Ausflug in die Badi sind weitere Vorschläge aus der Runde. Es ist spürbar: Alle sind mit viel Eifer mit dabei.
Man muss Zeit und Raum geben.
«Mitbestimmen ist wichtig», sagt eine andere Betreuerin, Renate Hänni. «Die Einbeziehung der Bewohnenden funktioniert», betont sie. «Man muss ihnen einfach Raum und Zeit geben.» So braucht es oft mehrere Sitzungen, um ein Thema zu diskutieren, und Hänni bereitet Hilfsmittel wie Symbolkarten vor.
Bestimmen, welches Hotel man für die Ferien bucht oder wie die Wohnung eingerichtet wird: Für die meisten Menschen ist es selbstverständlich, dass sie das selbst entscheiden können. Für Menschen mit Behinderungen ist es das nicht.
Kritik an Umgang mit Behinderten in der Schweiz
Ein selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben zu führen – das sind zwei wichtige Punkte in der UNO-Behindertenrechtskonvention BRK. Seit 10 Jahren ist die Konvention in der Schweiz in Kraft, doch mit der Umsetzung hapert es. In einem Bericht im März 2022 kritisierte der UNO-Ausschuss die Schweiz für deren Umgang mit Beeinträchtigten.
Die Schweiz verletze die Rechte der 1.8 Millionen Menschen mit Behinderung in vielerlei Hinsicht. Laut dem Ausschuss fehlt eine umfassende Strategie zur Umsetzung der Empfehlungen. Bestehende Gesetze müssten auf allen Ebenen systematisch überprüft werden.
Derzeit finden in der Schweiz die nationalen Aktionstage für Behindertenrechte statt. Rund 1000 Veranstaltungen sind geplant. Menschen mit und ohne Behinderung sollen in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Bedeutung der Behindertenrechte schaffen. Ziel ist es laut dem Eidgenössischen Büro für Gleichstellung, die Umsetzung der UNO-BRK voranzutreiben.
Sie lernen, für sich selber einzustehen.
Mit dem Klientinnen- und Klientenrat trifft das Discherheim den Nerv der Zeit, ist Heimleiter Stefan Oberli überzeugt. «Die Bewohnerinnen und Bewohner lernen, für sich selber einzustehen. Das ist ein zentraler Punkt der BRK.» Der Rat sei das perfekte Gefäss dafür.
«Sie lernen, gemeinsame Entscheide zu fällen oder auch, wie man auf eine gute Art miteinander streitet», erklärt Oberli. Das Ganze habe aber auch seine Grenzen. «Wenn etwas zu abstrakt ist, dann funktioniert es nicht mehr. Es muss anschaulich und verständlich sein, damit sich die Mitglieder eine Meinung bilden können.»
Inklusion braucht Zeit
Zurück an den Sitzungstisch des Klientinnen- und Klientenrats. Inzwischen sind noch mehr Ideen für das Jubiläum des Discherheims zusammengekommen. Der Zirkus Knie soll eingeladen werden, man könnte eine Töfflitour mit Seitenwagen machen und Musik dürfe auf keinen Fall fehlen. «Konzert! Etwas Volkstümliches oder etwas Klassisches. Vivaldi, Mozart oder Bach!»
Die Ideen sprudeln. Um das Programm fertig zu diskutieren, reicht die Zeit heute aber nicht. In zwei Wochen trifft sich der Rat zur nächsten Sitzung. Die Vorschläge werden dann der Geschäftsleitung unterbreitet.