«Atem ist Leben, wir kommen auf die Welt mit einem Atemzug und verlassen sie letztendlich mit einem Atemzug.» In der Breathwork-Session ist sogleich klar, dass für die nächsten gut zwei Stunden die eigene Atmung im Zentrum steht. Valérie und Marc Grüninger führen durch die Sitzung.
Breathwork ist der Überbegriff für verschiedene Atemtechniken. Heute ist ein «verbundener Atem» das Ziel. Bei dieser Technik wird nach dem vollen Einatmen wieder direkt ausgeatmet – pausenlos. So wird bewusst eine Hyperventilation hervorgerufen, man bekomme dadurch einen besseren Zugang zu seinem Unterbewusstsein,
«Man weiss nie, was passiert. Manche Leute prozessieren auf emotionaler Ebene, manche auf körperlicher, andere haben mystische Erfahrungen», erzählt Valérie Grüninger.
Das Studio ist keine Einzelerscheinung, das Angebot und die mediale Berichterstattung zu Breathwork wachsen kontinuierlich. Auch Aus- und Weiterbildungen werden in diesem Bereich Dutzende angeboten. Sie reichen von kurzen Online-Kursen bis zu mehrmonatigen Schulungen.
Dies sieht Valérie Grüninger auch kritisch: «Um Menschen bei dieser Arbeit abzuholen, erfordert es zuerst die Auseinandersetzung mit der eigenen persönlichen Entwicklung.» Bei Leuten, die nur einen kurzen Online-Kurs absolviert haben, sei dies fraglich.
Zurück in die Session: Nach kurzer Zeit zeigen sich bei den Teilnehmenden erste körperliche Reaktionen: Die Hände verkrampfen sich und stehen wie Pfötchen hervor. Dies ist eine Folge der schnellen Atmung. Diese führt dazu, dass das CO₂ im Blut drastisch abnimmt und die Muskeln sich versteifen.
Neben den körperlichen Erfahrungen wie Kribbeln in den Armen und Beinen erzählen viele Teilnehmende auch von spirituellen und emotionalen Momenten. Nicolas Lebküchner kommt immer wieder hierher, «durch das bewusste Atmen komme ich besser an meine Gefühle heran». Andere erzählen auch von trip-ähnlichen Wirkungen.
Streit-Thema Traumata
Fakt ist: Dass mit Atmen einiges möglich ist, ist wissenschaftlich breit belegt – so kann kontrolliertes Atmen den Blutdruck senken oder in Stresssituationen beruhigend wirken. Wie und vor allem wofür diese Techniken eingesetzt werden sollten, ist jedoch umstritten. So behandelt der Breathwork-Coach Claudio Petrò in seinen Sessions auch explizit Traumata.
Petrò sieht im Atem Potenzial in allen Bereichen: «Wenn man wirklich will, kann dadurch alles erreicht werden.» Man gehe beim Breathwork so tief, dass ganze Blockaden oder frühkindliche Traumata aufgearbeitet werden können. Zu ihm in die Session kämen deshalb auch Personen, die etwas verarbeiten wollten.
Die Psychotherapeutin Sabrina Stucki sieht dies kritisch: «Bei psychisch instabilen Menschen würde ich aufpassen.» Denn Breathwork könne starke Emotionen hervorrufen oder Erinnerungen auslösen, teilweise würden Teilnehmende deshalb stark weinen oder gar schreien. Diese Personen müsse man in einem Nachgespräch professionell begleiten.
Man weiss nie, was in einem Prozess genau passiert.
Häufig werde zudem eine Heilung von Traumata versprochen. «Ich würde nie von Heilung sprechen, weil ein Trauma sehr komplex ist und man nie weiss, was in einem Prozess genau passiert.»
Grundsätzlich sieht die Psychotherapeutin Breathwork aber als spannendes Mittel an, für Personen, die wirklich stabil und gesund sind. «Es kann definitiv helfen, sich zu entspannen oder Stress abzubauen.»