Darum geht es: Es ist eine der grossen Baustellen in der schweizerischen Gesundheitspolitik – und zwar seit Jahren: Dem Land gehen die Hausärztinnen und -ärzte aus. Wiederholt hat die Politik deshalb versucht, Abhilfe zu schaffen. Verändert hat sich bislang wenig. Nun schlagen Praktikerinnen und Praktiker Alarm. Ein Kollaps drohe, sagt der Präsident der Haus- und Kinderärztinnen gegenüber dem «Tages-Anzeiger».
Das sind die Zahlen: Ein Hausarzt pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner: Diesen Leitwert gibt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) heraus. In der Schweiz sind rund 40'000 Ärztinnen und Ärzte tätig. 8500 davon arbeiten in der allgemeinen inneren Medizin. Vergleicht man dies mit der Einwohnerzahl der Schweiz (8.8 Millionen), liegt das Land innerhalb der WHO-Richtlinie. Schaut man sich allerdings die Vollzeitäquivalente an, so fällt die Versorgungsdichte gemäss dem Schweizerischen Gesundheitsobservatorium (Obsan) unter den kritischen Wert – nämlich auf 0.8. Der Schweiz fehlen somit jährlich Hunderte Fachkräfte.
Ärztestatistik 2022
Die Nachwuchspipeline stockt: Hausärztinnen und Hausärzte amten oft als Vertrauensperson ihrer Patientinnen und Patienten. Lange Arbeitszeiten gehören da traditionell zum Jobprofil. Zudem tragen sie häufig die Verantwortung für einen kleinen Betrieb. Das wollen sich heute viele nicht mehr antun. Nur etwa 20 Prozent der Studienabgänger entscheiden sich für die Spezialisierung. Gemäss Expertinnen müsste diese Zahl doppelt so hoch liegen. Die Folge: Die Anzahl Hausärztinnen und -ärzte bleibt gleich, während es immer mehr Spezialistinnen und Spezialisten gibt.
Diejenigen, die sich dennoch für den Beruf entscheiden, wollen das nicht mehr zu den gleich hohen Pensen wie ihre Vorgänger tun. Die Vereinigung Haus- und Kinderärzte Schweiz liefert Zahlen: Während die Arbeitsstunden 2005 noch bei 50h/Woche lagen, beträgt die Zahl heute 43h/Woche.
Die letzte Reform: 2012 präsentierte Bundesrat Alain Berset einen Masterplan, mit dem das Problem angegangen werden sollte. Der Hausarztberuf sollte attraktiver gemacht und mehr Ausbildungsplätze geschaffen werden. Zehn Jahre später sprach der Bund von einem Erfolg . Tilman Slembeck, Gesundheitsökonom an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), zeigt sich kritischer. «Es gibt noch immer viel zu wenig Ausbildungsplätze.» Er sieht die Kantone deshalb in der Pflicht, mehr zu tun.
Das wird getan: Mehrere Universitäten haben in den letzten Jahren Lehrstühle für die Hausarztmedizin geschaffen. Zudem gibt es vielerorts Praxisassistenzprogramme, bei denen die Kantone Teile der Lohnkosten übernehmen. Weil viele statt zum Hausarzt direkt in den Notfall gehen, haben mehrere Universitätsspitäler zudem eigene Hausarztpraxen eingerichtet. Andernorts wird mit Programmen experimentiert, bei denen Pflegekräfte vermehrt Aufgaben von Ärzten übernehmen.
Darum ist das wichtig: Mit 4.6 Medizinern pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner weist die Schweiz eine der höchsten Ärztedichten der Welt auf . Von einer Unterversorgung kann keine Rede sein. Alles in Ordnung, könnte man denken – wäre da nicht die gleichzeitige Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Experte Slembeck sieht im Bedeutungsverlust der Hausärztinnen und -ärzte denn auch einen wichtigen Kostentreiber. «Sie agieren als Gatekeeper, indem sie entscheiden, wer zum Spezialisten muss und wer nicht.»