Arbeitsplätze mit Bildschirmen, dazwischen Trennwände, in der Ecke ein Ventilator: Wer die neue «Virtual Care Unit» des Luzerner Kantonsspitals (Luks) besucht, wähnt sich eher in einem Start-up denn auf einer medizinischen Abteilung. Willkommen in der Kommandozentrale der Pflege der Zukunft!
«Virtual Care» bedeutet, Patientinnen und Patienten aus der Ferne zu überwachen. Mithilfe von Videotelefonie, künstlicher Intelligenz (KI) und Messgeräten, die rund um die Uhr Körpertemperatur, Puls und Blutdruck übermitteln.
Die virtuelle Abteilung des Luks hat vor einem Monat ihre Arbeit aufgenommen – und seither rund 200 Patientinnen und Patienten versorgt. Es sind Menschen mit Herzerkrankungen oder Schlaganfällen. Michael Döring, Leiter der Pflege, sagt: «‹Virtual Care› ist für uns ein Durchbruch in eine neue Ära der medizinischen Überwachung.»
Wenn die Pflege ein Headset trägt
Sieben Pflegefachpersonen zählt die neue Abteilung. Jörg Glowienka ist einer davon. Wie sein Alltag aussieht, stellt das Spital beim Medienrundgang nach. Der Pflegefachmann trägt ein Headset und klickt auf seinem Bildschirm auf das Videosymbol: «Grüezi, Herr Infanger, Glowienka Jörg ist mein Name, ich bin ‹Virtual Nurse› und heute für sie zuständig.»
Patient Infanger winkt wenig später in die Kamera und berichtet von Rückenschmerzen. Mit einem Computer zu reden, sei gewöhnungsbedürftig, sagt Hans Infanger. Der direkte menschliche Kontakt fehle. «Aber es hat den Vorteil, dass man relativ schnell mit einer Fachperson sprechen kann.»
System soll Pflege entlasten
Auch Pflegefachfrau Catarina Fritschi arbeitet auf der «Virtual Care». Jahrelang war sie am Spitalbett tätig. Mit dem Wechsel habe sie nun allenfalls sogar mehr Zeit als die physischen Pflegefachleute. Fritschi sieht «Virtual Care» als Entlastung für das Pflegepersonal. «Auch die technische Überwachung ist eine Erleichterung.»
«Virtual Care» funktioniert auch dezentral, wie das Kantonsspital in einem Video zeigt. In einem Regionalspital ohne Neonatologie – also ohne Intensivstation für Neugeborene – kommt ein Baby auf die Welt, das sofort Hilfe benötigt. «Die Hebamme übernimmt die Erstversorgung», sagt Antonio Braizinho, Leiter der «Virtual Care Unit». Danach ziehe sie via Telemedizin eine Fachperson der Neonatologie hinzu.
Patientenstelle beobachtet «Virtual Care» kritisch
Aktuell betreut eine «Virtual Nurse» zwölf Patienten gleichzeitig. Künftig sollen es bis zu 20 sein. Geplant ist, dass das Luks ab dem Sommer auch Personen daheim per Video und mit tragbaren Messgeräten überwacht. So können Patientinnen und Patienten schneller aus dem Spital entlassen werden.
Die Organisation Patientenstelle Zentralschweiz beobachtet diese Entwicklung kritisch. Auf Anfrage heisst es, man setze Fragezeichen bei der persönlichen und ganzheitlichen Betreuung der Patienten.
Dass der virtuellen Pflege Grenzen gesetzt sind, stellen die Verantwortlichen nicht in Abrede. «KI kann zwar erkennen, wenn ein Patient Schmerzen hat oder aufstehen will. Aber im Zimmer zu spüren, wie es einem Menschen geht, ist ein anderes Level», so Pflegeleiter, Michael Döring.
In einer Palliativ- oder Suizidsituation braucht es weiterhin unbedingt den Menschen.
«Virtual Care» komme dort ans Limit, wo das Zwischenmenschliche zähle, sagt auch Antonio Braizinho. «In einer Palliativ- oder Suizidsituation vielleicht, wo der Patient auch psychisch mehr Zuwendung braucht. Da braucht es weiterhin unbedingt den Menschen.»