Die Corona-Pandemie ist vorbei, doch in vielen Köpfen lebt die Ausnahmesituation der Jahre 2020 bis 2022 weiter. In Politik und Medien ist der Ruf nach einer unabhängigen Aufarbeitung dieser Zeit nicht verhallt. Vor Bundesgericht ist nach wie vor eine Beschwerde in der Affäre um die sogenannten Corona-Leaks hängig.
Auch die prägende Figur dieser Zeit, der heutige Generalsekretär des Europarats und damalige Schweizer Gesundheitsminister Alain Berset, treibt das Thema noch immer um. In einem neuen Buch spricht er mit dem Psychiater und Resilienzforscher Gregor Hasler darüber, wie er damals mit dem extremen Druck umgegangen ist, arbeitet also die Pandemiepolitik aus psychologischem Blickwinkel auf.
Kennengelernt haben sich Berset und Hasler im Herbst 2020, einer dunklen Stunde der Pandemie: Die Fallzahlen gingen in die Höhe, ein Impfstoff war noch nicht verfügbar, das Team des Bundesrats stark belastet. In dieser Zeit zieht Berset Psychiater Gregor Hasler bei.
Die Burnout-Gefährdung von Politikern wird stark unterschätzt.
Dieser berät das Team im Umgang mit dem eigenen Stress. Er kommt auf die Idee, nach der Pandemie Alain Berset in einem Buch als Fallbeispiel für eine besonders widerstandsfähige Persönlichkeit zu nehmen. «Die Belastung, der Stress und die Burnout-Gefährdung von Politikern wird stark unterschätzt», sagt Hasler heute.
Auch wenn der Ansatz des Buches ein medizinischer ist, Berset bleibt Politiker. Da kommt schnell der Verdacht auf, dass sich hier einer eine Bühne für die Rechtfertigung der damaligen Politik schafft. Berset tut dies ein Stück weit, nutzt das Buch, um seine Sicht der Dinge darzustellen, etwa da, wo er die Rolle der Kantone in der Pandemie kritisiert oder den Medien unzulässige Moralisierung privater Angelegenheiten vorwirft.
Auch findet man im Buch kein Fehlereingeständnis, wie man es kürzlich vom damaligen Präsidenten der Eidgenössischen Kommission für Impffragen Christoph Berger vernehmen konnte.
Zweifel und Bauchgefühle in der Politik
Da ist aber mehr. Berset und Hasler ist ein kluges und differenziertes Buch gelungen über Widerstandskraft in der Krise, über politisches Agieren und die Funktion von Politik in der Gesellschaft. Berset spricht über Zweifel als Arbeitsinstrument, über die zentrale Funktion von Bauchgefühlen in der Politik und darüber, dass schlechte Entscheide besser seien als gar keine Entscheide. Auch persönliche Krisen kommen zur Sprache, und er reflektiert Wesenszüge wie seine Eitelkeit und seinen Führungswillen.
Die Öffentlichkeit kennt Berset als Machtmenschen, aber auch als nahbaren Politiker auf dem Lovemobil an der Zürcher Streetparade oder als Bundespräsident beim Aktenstudium auf einem Randstein in New York. Beide Seiten weiss Berset gekonnt zu kommunizieren und inszenieren – auch mit seinem neuesten Streich, einem Buch über Stressbewältigung in der Krise.