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Schweiz Altenpflege statt Gitter-Kontrolle – Gefängniswärter lernen um

Mit einem speziellen Weiterbildungsprogramm reagieren Schweizer Gefängnisse auf die Zunahme von älteren Häftlingen. Krankheiten und Tod stellen das Betreuungspersonal vor neue Herausforderungen – davon betroffen ist auch das Verhältnis zwischen Gefangenen und Wärtern.

Pensioniert und dennoch hinter Gittern. Dies ist für viele Gefangene in der Schweiz eine Realität. Zwischen 1984 und 2010 verdoppelte sich die Anzahl der über 60-jährigen Gefangenen, wie eine Nationalfondsstudie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften zu Tage brachte. Oft verbringen diese Häftlinge auch ihre letzten Lebenstage hinter Schloss und Riegel. Ein würdevolles Altern und Sterben – beides ein Menschenrecht, auch für Strafgefangene – seien damit nur teilweise möglich, sind sich Fachleute einig.

Spezielle Abteilung für über 60-Jährige

Mit speziellen Stationen für über 60-Jährige versuchen nun einige Schweizer Gefängnisse auf die Zunahme der älteren Häftlinge zu reagieren. So wurde unter anderem auch in der Strafvollzugsanstalt Lenzburg eine Abteilung 60plus eingerichtet. Die Nachfrage nach Plätzen in dieser – etwas offeneren Abteilung – sei gross, bestätigt Bruno Graber, Leiter des Zentralgefängnisses: «Wir könnten die Abteilung doppelt führen, wenn es sein müsste».

Für die zwölf Plätze in der 60plus-Abteilung ist ein Team von fünf Personen für die Betreuung und Aufsicht zuständig. Das sind rund dreimal so viele wie im normalen Gefängnisalltag. «Neue Leute für die Abteilung zu rekrutieren war nicht schwierig», sagt der Gefängnisdirektor. Trotzdem würden sich von den 45 Angestellten im Gefängnis Lenzburg nicht alle für diesen speziellen Tätigkeitsbereich eignen, müsse man doch auch mit der Nähe und einem möglichen Tod der Insassen umgehen können.

Mehr Betreuung, weniger Aufsicht

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Legende: Keystone

Um der Zunahme älterer Insassen gerecht zu werden, hat das Gefängnis Lenzburg eine Seniorenabteilung eröffnet. «Schweiz aktuell» hat einen Gefangenen und die Abteilung 60plus besucht.

Zudem plant der Ausbildner der Gefängniswärter in der Schweiz, das Schweizerische Ausbildungszentrum für das Strafvollzugspersonal (SAZ), im kommenden Jahr ein neues Weiterbildungsprogramm. Die professionelle Beziehung zwischen Wärtern und Gefangenen habe sich vor allem bei älteren Insassen merklich verändert, erklärt SAZ-Vizedirektor Karl-Heinz Vogt. «Früher waren Betreuung und Aufsicht gleich wichtig, heute wird mehr Zeit in die Betreuung eingesetzt.» Man wolle keine Schnellschüsse lancieren, mache sich aber auch über die Rekrutierung neuer Berufsgruppen Gedanken. «Es kann gut sein, dass in den kommenden Jahren auch Physiotherapeuten oder Pfleger mit geriatrischer Ausbildung in einem Gefängnis angestellt werden.»

Zurückhaltung beim Bundesgericht

Doch woran liegt die Zunahme älterer Gefängnisinsassen? Strafrechtsprofessor Christian Schwarzenegger will nicht in erster Linie den lebenslangen Verwahrungen die Schuld zuweisen. Diese hätten nämlich seit 2007 konstant abgenommen. Vielmehr sieht Schwarzenegger die allgemeine Alterung der Gesellschaft und die Zunahme der stationären therapeutischen Massnahmen als mögliche Gründe.

Obwohl man wisse, dass das kriminelle Potenzial mit dem Alter abnehme, sei das Bundesgericht bei strafmildernden Entscheidungen sehr zurückhaltend, erklärt Schwarzenegger. «Normalerweise werden mit dem Alter die Verhältnismässigkeitsprüfungen, die alle fünf Jahre stattfinden, nicht regelmässiger durchgeführt», so der Strafrechtsprofessor. Verschlechtert sich der Krankheitszustand eines Häftlings, werde dieser allerdings in ein gesichertes Spital überführt und dort auch von medizinischen Fachkräften behandelt.

Und dann gibt es auch die ganz individuellen Entscheide, die im Todesfall über Recht und Unrecht stehen. SAZ-Vizedirektor Karl-Heinz Vogt kann sich an drei solche Einzelfälle während seiner Tätigkeit als Gefängniswärter erinnern: «Mit einer Begnadigung oder einem Haftunterbruch wurde bei langjährigen Gefängnisinsassen auch mal der letzte Wunsch erfüllt: In den eigenen vier Wänden zu sterben.»

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