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Angst vor dem Altersheim? Altersheime verlieren wegen Corona Klienten an die Spitex

«Ich würde auf keinen Fall mehr ins Altersheim gehen jetzt in dieser Situation. Das ist gar nicht ideal, wenn so viel Menschen um einen herum sind. Man ist dann mittendrin und kann nicht fliehen.» Klare Worte von der 90-jährigen Marianne Gabriel, welche in einem Alterszentrum in der Zentralschweiz lebt.

Mit dieser Sicht ist sie nicht die einzige, wie sie sagt. Viele Personen in ihrem Umfeld würden das gleich sehen.«Es ist heute sowieso der Trend, sich von der Spitex pflegen zu lassen und erst in ein Pflegeheim zu gehen, wenn es gar nicht mehr anders geht.» Hätte sie gewusst, dass sie mit 90 Jahren immer noch fit sei, und dass eine solche Pandemie auf sie zukommen würde, dann hätte sie das auch so gemacht.

Damit bestätigt sie die Ergebnisse , welche das Bundesamt für Statistik (BFS) am Dienstag publizierte. Diese belegen, dass die Altersheime im Jahr 2020 massiv weniger Klientinnen und Klienten hatten und sich viele ältere Menschen von der Spitex betreuen liessen.

Der Fall «dr Heimä» in Obwalden

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Der Kanton Obwalden war vor kurzem im Fokus, weil im Altersheim «dr Heimä» in Giswil innert drei Wochen neun Menschen nach einer Coronavirus-Infektion starben. Kritik gab es danach vor allem am Heimleiter, der die Maskenpflicht nach eigenen Angaben als Empfehlung verstanden hatte. Er dachte, während des Sommers gäbe es einen «Spielraum». Der Kanton stellte dies in Abrede und meinte, es habe zu jedem Zeitpunkt eine Maskenpflicht gegolten. Diese gilt auch weiterhin. Über eine Verschärfung der Massnahmen in den Alters- und Pflegeheimen wurde in Obwalden jedoch nicht diskutiert.

Diese Abnahme dürfte mit der Pandemie zusammenhängen, schreibt das BFS. Jüngste Corona-Ausbrüche in Altersheimen wie in Giswil oder in Muttenz wirken zudem nicht besonders einladend auf potenzielle Neu-Bewohner.

Die letzte Phase des Lebens: das Alterszentrum

«Angst ist das falsche Wort. Wir stellen aber fest, dass der Respekt vor einem Altersheimeintritt zugenommen hat. Vielen wird nun bewusst, dass ein Alterszentrum die letzte Phase des Lebens ist und dass man eben im Altersheim stirbt», sagt Peter Burri Follath, Leiter Kommunikation von Pro Senectute Schweiz.

Der Tod sei in unserer Gesellschaft ein Tabuthema, das man grundsätzlich von sich wegschiebe. Gerade in den ersten Monaten der Pandemie seien die Alters- und Pflegeheime zum Teil in ein ungünstiges Licht gerückt worden. Dabei sei der Tod in diesen Institutionen allgegenwärtig, fügt Burri Follath an.

Es ist aber anzunehmen, dass die aktuelle Lage und die Berichterstattungen der Vergangenheit auch einen hemmenden Einfluss auf die Altersheim-Platznachfrage haben könnte.
Autor: Peter Burri Follath Leiter Kommunikation Pro Senectute

Ob die Abnahme der Nachfrage an Altersheimbetreuung aber einen direkten Zusammenhang mit der Pandemie habe oder nicht, könne man nicht abschliessend sagen.

Ältere Personen seien auch in ihrem Zuhause gestorben. Das habe wiederum einen demografischen Effekt, welcher sich auch auf die Bettenlage der Altersheime auswirken könne, so Burri Follath. «Es ist aber anzunehmen, dass die aktuelle Lage und die Berichterstattungen der Vergangenheit auch einen hemmenden Einfluss auf die Altersheimplatz-Nachfrage haben könnte.»

Mehr Spitex und weniger Altersheim

Dass die Nachfrage nach Pflegeplätzen kurzfristig zurückgegangen sei, kann auch Marco Müller, Geschäftsführer des Alterszentrums Kirchfeld in Horw im Kanton Luzern, bestätigen. «Insgesamt sind die Personen, die zu uns kommen, älter und bleiben weniger lange. Sie kommen meist dann, wenn sie hochbetagt und sehr pflegebedürftig sind.»

Mittelfristig habe er aber das Gefühl, dass sich die Situation erholen werde. Denn: Die Nachfrage verlagere sich. Müller sagt, er merke insbesondere bei jenen Menschen eine Zunahme, die Rundum-Betreuung brauchen. Beispielsweise bei Personen, die an Demenz oder an psychischen Erkrankungen und auch an Suchterkrankungen leiden.

Eine Mitarbeiterin der Spitex gibt einer Klientin eine Insulin-Spritze in den Bauch.
Legende: Die Nachfrage nach Spitex-Betreuung ist letztes Jahr gestiegen: Eine Mitarbeiterin der Spitex gibt einer Klientin eine Insulin-Spritze in den Bauch. Keystone

Alle anderen, sofern die Gesundheit einigermassen mitspielt, nehmen den Spitex-Dienst in Anspruch. Das belegen auch die Zahlen des BFS. Vornehmlich von über 80-Jährigen wurde sie oft in Anspruch genommen. Anthony Francis, Projektleiter Statistik der Sozialfürsorgeeinrichtungen des BFS, schreibt, dass man davon ausgehe, dass die häuslichen Pflegedienste den Rückgang der Tätigkeit in den Pflegeheimen teilweise kompensiert haben sollen.

Für Marianne Gabriel, die bereits seit zehn Jahren im Pflegezentrum lebt, kommt ein Wechsel in eine eigene Alterswohnung mit Spitex-Betreuung nun aber nicht mehr infrage - obwohl sie diese Lösung als die idealer erachtet. «Mit 90 nochmals zügeln und einen neuen Haushalt aufzumachen? - das ist mit Stress verbunden und wäre mir zu anstrengend.»

10 vor 10, 9.10.2021, 21:50 Uhr

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