Mittwochmorgen, 9:30 Uhr, Brauereiplatz mitten im Dorf Appenzell. Nach der grossen Viehschau am Tag zuvor ist nun «Gässschau» – Ziegenschau. Im Zentrum steht die Appenzeller Ziege, die einzige Schweizer Ziegenrasse, die als «kritisch» gefährdet eingestuft wird.
Die traditionsreiche Ziegenschau gibt es seit 1913. Die Tiere werden bewertet und prämiert. Bevor die Ziegen aber auf dem Brauereiplatz zur Schau gestellt werden können, müssen sie zum Untersuch. Genauer gesagt: «Zum Gesundheitscheck wegen Pseudotuberkulose», erklärt ein Experte vor Ort.
Ein Grossteil der Tiere, die an der «Gässschau» ausgestellt werden, leben im Kanton Appenzell Innerrhoden. Am Vortag standen hier an der Viehschau noch die Kühe im Rampenlicht, heute sind es die Ziegen. Der Besucherandrang entspricht der Tiergrösse und ist heute kleiner – ein paar Hundert Schaulustige gehen über den Tag verteilt auf dem Brauereiplatz auf und ab.
Überhaupt: Alles ist kleiner als bei der grossen Schwester, der Viehschau. Auch die Anzahl der Tiere. Der pensionierte Landwirt Bruno Hersche sagt: «Früher hatte es mehr Geissen. Viele Bauern haben heute keine Zeit mehr. Für einen Pensionierten ist es eine schöne Beschäftigung, ein schlecht bezahltes Hobby.» Mit Ziegen verdiene man kein Geld mehr.
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Bild 1 von 4. Auch die Kleinen packen an und helfen, die Ziegen festzubinden. Bildquelle: SRF / Christian Masina.
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Bild 2 von 4. Kinder sind ein wichtiger Bestandteil der gelebten Tradition der «Gässschau». Bildquelle: SRF / Christian Masina.
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Bild 3 von 4. Ob beim Festbinden auf dem Schauplatz ... Bildquelle: SRF / Christian Masina.
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Bild 4 von 4. ... oder beim Entladen aus den Transportanhängern: Kinder packen überall mit an. Bildquelle: SRF / Christian Masina.
Im 18. Jahrhundert waren Ziegen noch ertragreich. Der Molkentourismus brachte Touristinnen und Touristen ins Appenzellerland; der Molke wurde eine heilende Wirkung nachgesagt. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Appenzeller Ziege zum Exportschlager, doch in den 1930er-Jahren ging der Bestand dann rapide zurück – wegen der Währungskrise in Deutschland und neuen Vorgaben in der Schweiz.
Engagement gegen das Aussterben
Der Bestand blieb tief. Bruno Signer, Präsident der Innerrhoder Ziegenzuchtgenossenschaft, sagt, schweizweit gebe es noch rund 1000 solcher Geissen. «Laut ‹Pro Specie Rara› ist die Art vom Aussterben bedroht.» Ein weiteres Problem sei der Wolf: «In der heutigen Zeit mit den Raubtieren wird es nicht ringer, Ziegen zu züchten. Wir müssen schauen, dass wir die Geissen erhalten können.»
Wichtig sei, dass Kinder dabei seien. «Die Kinder sind das wichtigste Glied. Es hat viele Kinder dabei heute. Und sie sollen Freude haben an den Ziegen, damit sie in 20 Jahren immer noch an die Gässschau kommen.» Neben Bund und Verbänden unterstützt auch der Kanton Appenzell Innerrhoden die Bestrebungen zum Erhalt der Appenzeller Ziege finanziell.
Einen wichtigen Beitrag dazu leisten eben auch die «Gässschau» und die Älplertradition. Noch heute sind die Ziegen fester Bestandteil des Alpaufzugs.
Wer gewinnt den Schönheitspreis?
An der «Gässschau» auf dem Brauereiplatz sind die Appenzeller Ziegen in Reih und Glied angeleint, sauber herausgeputzt, mit ihren langen weissen Haaren.
Hansruedi Niederer, Experte auf dem Platz, erklärt die optischen Kriterien: «Eine schöne Appenzeller Geiss hat eine gute Flanke, ein korrektes Haarkleid, ein gut aufgehängtes Euter, schön verwachsen nach vorne. Dann sollte sie am Unterleib einen schönen Strich haben mit einem Gangwerk, das dazu passt. Also dass sie schön gerade parallel läuft, mit schönen geschlossenen Klauen.»
Wer gewinnt, ist an der Appenzeller «Gässschau» zweitrangig. Die jährliche Schau fördert neben dem Bewusstsein für Traditionen auch jenes für die Gefährdung. Und hilft so seit über 110 Jahren mit, dass die Appenzeller Ziege nicht ausstirbt.