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«Arena» zur Gleichstellung Wieviel braucht es für eine wirkliche Gleichberechtigung?

Bei der Gleichberechtigung der Frauen hinkt die Schweiz im internationalen Vergleich hinterher. Das politische Stimmrecht erhielten Frauen erst 1971 und bisher hat es nur sieben Bundesrätinnen gegeben.

Die Auswirkungen spüren Frauen heutzutage am deutlichsten auf ihrem Gehaltskonto. Für gleichwertige Arbeit und mit denselben Qualifikationen verdienen sie rund 20 Prozent weniger als ihre männlichen Arbeitskollegen. Das zeigen statistische Erhebungen des Bundes. Der Bundesrat will darum die Lohngleichheit gesetzlich festschreiben, denn die Gleichstellung ist seit 1981 in der Bundesverfassung festgeschrieben.

Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.
Autor: Bundesverfassung Art. 8 Abs. 3

In der «Arena» diskutieren:

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Am Expertenpult:

Christian Wasserfallen hinterfragt den Begriff «gleichwertig». Wenn man die Lohnunterschiede anders gruppiere, etwa nach Regionen in der Schweiz, stelle man fest, dass die Löhne in Zürich im Durchschnitt bis zu 20 Prozent höher sind als jene im Tessin.

Das Argument der regionalen Unterschiede lässt Yvonne Feri nicht gelten. Es gehe tatsächlich um den Unterschied zwischen Frauen und Männern. «Am deutlichsten fällt das bei den Berufseinsteigern auf, die mit gleicher Qualifikation am Anfang ihrer Karriere stehen.» Schon dort zeigten sich die Lohnunterschiede.

Sylvia Flückiger-Bäni relativiert: «Wenn man ganz genau hinschaut, sieht man, dass es gar nicht mehr viele Differenzen gibt und die Lohnunterschiede kleiner werden.»

Tatsächlich würden Unterschiede kleiner, bestätigt Feri. Aber die Freiwilligkeit bei der Gleichstellung funktioniere offensichtlich nicht, denn der Verfassungsartikel sei immerhin schon 40 Jahre alt. Und immer, wenn der Bundesrat eine Regelung einführen wolle, schreie die Wirtschaft auf.

Auch für Stefan Müller-Altermatt zählen die regionalen Unterschiede nicht. Im Kanton Zürich seien die Lebenshaltungskosten schliesslich auch höher als im Tessin, wie aus der Statistik herausgerechnet werden könne. «Dann kommt man zu den nicht erklärbaren Lohnunterschieden: Frauen verdienen 7,4 Prozent weniger, im Schnitt also rund 600 Franken pro Monat – im gleichen Job für dieselbe Arbeit.»

«Lohndiskriminierung ist nicht auf Frau und Mann fokussiert», insistiert Wasserfallen. Die Unterschiede beim Salär hingen auch davon ab, wie risikofreudig oder dominant jemand in eine Lohnverhandlung gehe.

Zudem gebe es auch über Branchen hinweg teils dramatische Lohnunterschiede, etwa zwischen der Finanzbranche oder dem Gastgewerbe. Selbst bei einem Berufseinstieg direkt nach einem Studium gebe es grosse Differenzen bei der Entlöhnung – ob man in einer KMU oder einem Grossunternehmen anfange, betont Maschinenbau-Ingenieur Wasserfallen.

Für Feri ist das Verhalten bei Lohnverhandlungen ein Scheinargument: Anständig zu sein und sich nicht vorzudrängen, werde Mädchen anerzogen: «Das beginnt bereits beim Sackgeld. Und bei einem Job, bei Lohnverhandlungen müssen dann plötzlich die Ellbogen ausgefahren werden.»

Guido Schilling.
Legende: Guido Schilling, Autor des «Schilling-Reports» über Führungskräfte und das Gender-Diversity-Potenzial. SRF

Experte Guido Schilling bestätigt, junge Frauen und Männer stiegen heute zwar viel selbstbewusster ins Berufsleben ein, doch Frauen in Führungspositionen hätten oft «Service-Funktionen», während Männer meist in einer «geschäftsführenden Funktion» seien.

Zudem steigen Männer laut Schilling oft zuerst in Grossunternehmen ein, während Frauen eher in einer KMU beginnen. Und auch die Anspruchshaltung beim Antritt einer neuen Stelle sei bei Männern stärker nach vorne ausgerichtet, während Frauen eher zufrieden seien mit ihrer aktuellen Position.

Grafische Darstellung der beiden Forderungen untereinander.
Legende: Gesetz zur Lohngleichheit: Vorschlag Bundesrat (oben) und Anpassung durch die zuständige Ständeratskommission (unten). SRF

Lohntransparenz dank neuem Gesetz?

Der Bundesrat will mit einer Revision des Gleichstellungsgesetzes (GIG) die Lohngleichheit erreichen.

  • Der Bundesrat will in Unternehmen mit 50 oder mehr Angestellten eine Lohnanalyse einführen. Das sind zwei Prozent aller Unternehmen in der Schweiz und betrifft 54 Prozent der Angestellten in der Schweiz.
  • Die Ständeratskommission, die diese Woche über das Gesetz beraten hat, fordert, dass nur Grossunternehmen mit mindestens 100 oder mehr Angestellten untersucht werden. Das wären nur 0,85 Prozent aller Unternehmen und 45 Prozent der Angestellten.

Feri kritisiert, nach der Vorberatung sei nicht mehr viel von dem Gesetz übrig. Es sehe zudem keine Sanktionen für Lohnungleichheit vor. Ihr gehe es nicht um eine «Lohnpolizei», aber um das Offenlegen von Löhnen. «Das ist ohne grosse Bürokratie machbar, denn grosse Betriebe müssen ohnehin auch AHV abrechnen. Das ist ein kleiner Schritt mehr.»

Gleichstellung nur per Gesetz?

Könnte das revidierte Gleichstellungsgesetz etwas bewirken? Headhunter Schilling ist skeptisch. Mit dem Gesetzesvorschlag würden keine Löhne offengelegt, sondern aus der Gesamtbelegschaft einer Unternehmung lediglich die Anzahl Dienstjahre, der Bildungsstand und die Hierarchiestufe bezüglich der Lohnstruktur analysiert, erklärt der Experte. «Das ist viel zu wenig, um Transparenz herzustellen.»

Aus diesen Gründen wehrt sich Flückiger-Bäni klar gegen das geplante «Bürokratiemonster». Auch Wasserfallen hält das Gesetz für nutzlos, denn die Untersuchung von 0,85 Prozent der Unternehmen täte niemandem weh.

Die einzige Sanktionsmöglichkeit im Gesetz sei ein «Naming and Shaming», indem Unternehmen mit diskriminierenden Löhnen publik würden, kritisiert auch Müller-Altermatt. So appelliere das Gesetz nur an das Schamgefühl von Unternehmen.

Lohngleichheit

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Das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann (GlG) ist seit 1. Juli 1996 in Kraft. Es soll die Durchsetzung des Anspruchs auf gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit erleichtern ( Lohngleichheit ). Dennoch besteht bis heute ein unerklärter Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern. Der Bundesrat hat beschlossen, die verfassungsrechtliche Lohngleichheit mit zusätzlichen staatlichen Massnahmen durchzusetzen.

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