Im Jahr 1984 hielt das Bundesgericht fest: Die Heiratsstrafe ist verfassungswidrig. Über 40 Jahre später streitet sich die Politik noch immer darüber, wie diese abgeschafft werden soll. Dieser Streit ist längst in einen Kampf um Familienmodelle gemündet.
Mit ihrer Volksinitiative «Für eine zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung» möchte die FDP, unterstützt durch die SP, Grüne und GLP das Steuersystem reformieren. «Es gibt heute Menschen, die aufgrund der Heiratsstrafe nicht heiraten», bemerkt Bettina Balmer, die seit vergangenem März die FDP Frauen präsidiert. Diese Reform trage den gesellschaftlichen Realitäten Rechnung und setze die richtigen Anreize für die Frauen, um arbeiten zu gehen, so Balmer.
Steuern sollen wertfrei sein und nicht ein Familienmodell bevorzugen.
SVP-Nationalrat Benjamin Fischer ist nicht einverstanden und wirft den Linken und Liberalen vor, die Ehe aus ideologischen Gründen auseinanderreissen zu wollen. «Steuern sollten wertfrei sein und nicht ein Familienmodell bevorzugen», sagt Fischer. Mit der Individualbesteuerung würden jene Familien benachteiligt, in welchen sich das Einkommen vor allem auf eine Person konzentriere.
Weiter ist der Zürcher der Meinung, dass diese Individualbesteuerung ein bürokratischer Unsinn sei. Schliesslich führe diese Reform zu 1,7 Millionen zusätzlichen Steuererklärungen.
Ihr wollt ein Steuersystem, das die Frauen zurück an den Herd bringt.
«Das jetzige Steuersystem benachteiligt die Frauen», moniert Widmer. Wie die Lohngleichheit oder eine staatliche Kita-Finanzierung sei die Individualbesteuerung ein Puzzleteil der Gleichstellung, findet sie. «Ihr wollt ein Steuersystem, das die Frauen zurück an den Herd bringt», wirft Widmer dem Ratskollegen Benjamin Fischer vor.
Das Mitte-Modell: «alternative Steuerberechnung»
In erster Linie seien nicht nur Frauen benachteiligt, sondern Ehepaare als solches, sagt Karin Stadelmann, Mitglied des Parteipräsidiums Die Mitte. Die Luzernerin plädiert für ein Steuersystem, das kein Familienmodell per se diskriminiere. Eine Familie soll selbst entscheiden können, wer in welchem Pensum arbeiten möchte, fordert Stadelmann. Mit der Volksinitiative «Ja zu fairen Bundessteuern auch für Ehepaare» möchte Die Mitte das Steuersystem reformieren.
Weil Ehepaare auch künftig eine gemeinsame Steuererklärung ausfüllen würden, sei der administrative Aufwand im Vergleich zur Individualbesteuerung geringer, argumentiert Stadelmann. Die Einführung des Frauenstimmrechts hatte zur Folge, dass doppelt so viele Wahlzettel gedruckt werden mussten, kontert Céline Widmer. Insofern sei ein Mehraufwand im Namen der Gleichstellung gerechtfertigt.
Benjamin Fischer hingegen unterstützt das Anliegen der Mitte-Partei. Dass eine Reform, die der Heiratsstrafe ein Ende setzen möchte, zu Steuerausfällen führe, sei selbstverständlich.
So geht es weiter:
Das Parlament arbeitet an einem Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Für eine zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung». In der bevorstehenden Sommersession wird sich zeigen, ob National- und Ständerat sich auf einen Kompromiss einigen können.