Das Wichtigste in Kürze:
- Wer ein krankes Familienmitglied pflegt, soll am Arbeitsplatz kurze Zeit frei erhalten. Der Bundesrat prüft die Finanzierung solcher Urlaubstage.
- Eltern schwerkranker Kinder sollen einen längeren Betreuungsurlaub nehmen können. Während dieser Zeit sollen die Angestellten weiterhin Lohn beziehen.
- Nun soll abgeklärt werden, welche Auswirkungen eine solche neue Regelung auf die Arbeitgeber hätte. Das hat der Bundesrat gestern im Grundsatz beschlossen.
- Arbeitgeber setzten bisher auf individuelle Lösungen , und möchten das auch weiterhin tun.
Viele Menschen in der Schweiz kümmern sich um ihre kranken Angehörigen. Manchmal sind es nur ein paar Tage, weil das Kind etwa die Masern hat. Oder es geht um die Pflege der eigenen Mutter, die nach einem Schlaganfall auf Hilfe angewiesen ist. Der Bundesrat möchte für solche Fälle bessere Lösungen für die Pflegenden. Heute kommt es weitgehend auf den Goodwill der Arbeitgeber an.
Erkrankt ein Kind zum Beispiel an Leukämie, steht der Familie eine schwierige Zeit mit langwierigen Behandlungen bevor. Man will nur noch etwas: beim Kind sein. Der Arbeit nachzugehen tritt erstmal in den Hintergrund. Ein Einzelfall, aber solche Fälle gibt es viele. Verunfallte oder schwerkranke Kinder gibt es hierzulande rund 800.
140'000 betreuen ältere Angehörige
Naturgemäss noch viel häufiger sind ältere Menschen auf Hilfe angewiesen: In der Schweiz sind es etwa 200'000. Und oft wollen oder müssen die Angehörigen bei der Betreuung helfen, Angehörige, die sonst arbeiten würden. 140'000 Leute im Erwerbsalter engagieren sich auf diese Weise, und bringen sich damit nicht selten finanziell in einen Engpass oder selber gesundheitlich an den Anschlag.
SP-Nationalrätin Silvia Schenker, die den Bundesrat schon vor vier Jahren zum Handeln aufgefordert hat, ist überzeugt: «Es braucht für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf dringend eine Regelung, die für alle gilt, die klar ist und auf die auch ein Rechtsanspruch besteht.» Denn diesen gibt es bis heute nur in Ansätzen.
Auf Goodwill des Chefs angewiesen
Laut Arbeitsgesetz hat der Arbeitnehmer Anspruch auf höchstens drei freie Tage, wenn ein Kind krank ist. Muss er oder sie sich um ein pflegebedürftiges Familienmitglied kümmern, muss der Arbeitgeber seinem Angestellten Zeit einräumen, bis eine dauerhafte Lösung für die Pflege gefunden ist. Auch das sind in der Praxis höchstens drei Tage. Ob der Arbeitnehmer in dieser Zeit seinen Lohn bekommt, regeln die Gesetze nicht klar, meist ist das aber der Fall.
Wenn es um längere Abwesenheiten geht, während derer Familienmitglieder betreut werden, gibt es in den Gesetzen keine Vorschriften für die Unternehmen. Hier ist der Angestellte ganz auf den Goodwill seiner Chefs angewiesen.
Das gilt auch für die mehr als 100'000 Migros-Angestellten. Hier schaue man jeden Einzelfall an, sagt Migros-Sprecherin Martina Bosshard, und frage nach:
- Was kann dem Mitarbeiter in dieser Situation helfen?
- Möchte er unbezahlten Urlaub?
- Gibt es die Möglichkeit, Home Office zu machen?
- Ist die Reduktion des Pensums eine Lösung?
Erst dann könne entschieden werden, was sinnvoll und was möglich ist, so Bosshard. Beim anderen grossen Detailhändler Coop heisst es, man gewähre unbezahlten Urlaub in bestimmten Fällen, sofern der direkte Vorgesetzte einverstanden sei. Und auch die Post spricht von individuellen Lösungen.
Vielmehr ein organisatorisches Problem
Jeden Fall einzeln anschauen, das hält auch Arbeitgeberverbands-Direktor Roland Müller für den Königsweg. Vorschriften wären gerade für kleine Betriebe schwierig: «Haben sie einen, 3-, 4-, oder 5-Mann-Betrieb und jemand fehlt eine längere Zeit, so ist das kaum zu verkraften.» Es gehe nicht nur um die Finanzierung von längeren Absenzen, sondern auch um das Organisatorische, so Müller. «Da hat sich die bisherige Praxis bewährt: Man sucht individuell betriebsbezogen Lösungen.»
Für Silvia Schenker und ihren Parteikollegen, Bundesrat Alain Berset, ist das der falsche Weg. Denn: Pflegende Angehörige bräuchten in solch schwierigen Zeiten Klarheit und Rechtssicherheit. Detaillierte Vorschläge hat der Bundesrat noch nicht vorgestellt. Das will er bis Ende Jahr nachholen. Eine mögliche Lösung wäre ein bezahlter Betreuungsurlaub, der auch länger dauern kann, finanziert über Lohnprozente, bezahlt zu gleichen Teilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern.