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Ausschreitungen im Fussball Warum können Hooligan-Schäden nicht den Clubs auferlegt werden?

Bei Fussball-Krawallen am Wochenende in Frankreich starben nicht nur zwei Personen, es entstand auch ein erheblicher Sachschaden. Viele europäische Länder – darunter auch die Schweiz – würden Sportclubs gerne stärker finanziell in die Verantwortung nehmen. Laut dem Rechtsanwalt Patrik Mauchle ist dies aus juristischer Sicht jedoch heikel.

Patrik Mauchle

Rechtsanwalt

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Patrik Mauchle studierte Rechtswissenschaften an der Universität St. Gallen (HSG). Nach dem Abschluss war er unter anderem als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitswelten der HSG, als Auditor am Verwaltungsgericht St. Gallen sowie als Substitut in einer Zürcher Wirtschaftskanzlei tätig. Derzeit ist er als Anwalt und öffentlicher Notar in der Ostschweizer Anwaltskanzlei Küng Rechtsanwälte & Notare AG tätig. Mauchle hat in der Zeitschrift des Zentrums für Haftpflicht-, Privat-, und Sozialversicherungsrecht (Have) zum Thema Haftung bei Ausschreitungen im Fussball publiziert.

SRF News: Wer kommt für Schäden wie jene in Frankreich auf?

Patrik Mauchle: Eigentlich die Person, die eine Fensterscheibe eingeworfen oder ein Auto angezündet hat. In der Realität bleibt aber meist der Eigentümer – der Ladeninhaber oder der Autobesitzer – auf den Kosten sitzen, weil der Schadensverursacher nicht ausfindig gemacht werden kann. Im besten Fall hat der Eigentümer eine Versicherung, die den Schaden ganz oder teilweise deckt. Die Kosten für die Polizeieinsätze trägt grundsätzlich der Staat.

Hooligans
Legende: Nach dem Champions-League-Sieg von Paris Saint-Germain kam es am 1. Juni 2025 in Paris zu Ausschreitungen. Randalierer plünderten Geschäfte, schlugen Scheiben ein, zerstörten eine Bushaltestelle und zündeten 200 Autos an. AP Photo / Thibault Camus

Warum kann man diese Schäden – zerbrochene Scheiben, verbrannte Autos – nicht einfach den Clubs auferlegen?

Aus rechtlichen Gründen: Als Mieter oder Eigentümer des Stadions ist der Club verpflichtet, während eines Fussballspiels die Sicherheit zu gewährleisten. Er darf mit Sicherheitspersonal für Ordnung sorgen.

Wenn ich eine Geburtstagsparty veranstalte und einer meiner Gäste auf dem Heimweg betrunken ein Auto demoliert, kann ich auch nicht zur Kasse gebeten werden.

Ausserhalb des Stadiongeländes hat aber die Polizei das Gewaltmonopol. Wenn dort ein Schaden entsteht, ist es fast unmöglich, dem Club nachzuweisen, dass er für den Schaden verantwortlich ist. Aus juristischer Sicht kann ich das nachvollziehen: Wenn ich eine Geburtstagsparty veranstalte und einer meiner Gäste auf dem Heimweg betrunken ein Auto demoliert, kann ich auch nicht zur Kasse gebeten werden – ich hatte ja überhaupt keine Möglichkeit, den Schaden zu verhindern. Ich kenne auch kein Urteil, in dem ein Schweizer Gericht einen Club zu Schadenersatz verpflichtet hätte.

Übernahme von Polizeikosten braucht gesetzliche Grundlage

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Ausschreitungen nach Fussballspielen führen nicht nur zu Sachschäden, sie verursachen auch Aufwand und Kosten bei der Polizei. Laut der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) liegen die Einsatzkosten in den Kantonen und Städten mit mindestens einem Super-League-Club zwischen je einer bis drei Millionen Franken jährlich.

Laut Bundesgericht könnten die Kantone die Sportvereine zur Kasse bitten – wenn sie dafür eine gesetzliche Grundlage schaffen. Dass Sportclubs in Neuenburg 80 Prozent der Kosten für Sondereinsätze der Polizei bei drohenden Ausschreitungen übernehmen müssen, befand das höchste Gericht 2009 für richtig. Nicht alle Kantone und Städte haben aber entsprechende gesetzliche Grundlagen geschaffen. Und die KKJPD strebt keine gesamtschweizerische, interkantonale Regelung an. Das wäre ihr zu starr.

Der Bundesrat wollte eine gesetzliche Grundlage für die Haftung von Sportclubs einführen, aber das Parlament lehnte dies ab. Warum fehlt der politische Wille?

Es fehlte nicht unbedingt am politischen Willen, es sprachen andere Gründe gegen das Gesetz. Es ging nämlich nicht nur um die Haftung von Sportclubs. Fans wären auch gezwungen gewesen, bestimmte Fanzüge zu benutzen. Da stellen sich natürlich ganz viele Fragen: Müssen Familien mit Kindern auch auf diese Fanzüge? Wer entscheidet, ob jemand als Fan gilt? Das waren die Fragen, die gegen das Gesetz sprachen. Insofern kann ich die Ablehnung des Parlaments nachvollziehen.

SBB bleibt auf bis zu vier Millionen jährlich sitzen

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Besonders von Sachbeschädigungen durch Hooligans betroffen ist die SBB. Eigenen Angaben zufolge belaufen sich die Schäden durch Vandalismus in und an Zügen auf jährlich rund neun Millionen Franken – dabei handelt es sich allerdings nicht nur um Schäden von Fussballfans.

Die Sachbeschädigungen in den Fanzügen konnten reduziert werden, die Kosten beliefen sich in der letzten Saison auf rund 250'000 Franken. Die Swiss Football League zahlt jährlich einen Beitrag an die SBB. Trotzdem belaufen sich die ungedeckten Kosten für Fanzüge auf jährlich drei bis vier Millionen Franken. Wenn die Täter nicht ermittelt werden können, bleibt die SBB auf diesen Kosten sitzen – eine rechtliche Möglichkeit, Sportclubs in die Pflicht zu nehmen, besteht derzeit nicht.

Haben Sie grundsätzlich Verständnis für die Idee, Clubs stärker finanziell in die Pflicht zu nehmen?

Die Forderung verstehe ich grundsätzlich. Ich verstehe auch den Steuerzahler, der sich darüber aufregt, dass die Allgemeinheit für Polizeikosten aufkommen muss. Man muss aber bedenken, dass die Handlungsmöglichkeiten der Clubs beschränkt sind. Und: Die Clubs könnten das gar nicht alles bezahlen – gerade die Polizeikosten. In St. Gallen etwa trägt der FC St. Gallen 60 Prozent der Polizeikosten, die über 200 Polizeistunden pro Spiel hinausgehen. Wenn der Club die kompletten Kosten der Polizeieinsätze übernehmen müsste, wäre wohl kaum ein Club überlebensfähig.

Der Staat und die Versicherungen sind also die Gelackmeierten. Gibt es keine anderen Lösungen?

Man muss bei der Erziehung im Elternhaus ansetzen (lacht). Es ist tatsächlich eine grosse Herausforderung, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, die in der Praxis umsetzbar und fair ist. Wenn es bei Fussballclubs beginnt, müsste man auch andere Veranstalter angehen, und das ist in der Praxis enorm schwierig umsetzbar. Ich habe für diese Kosten-Problematik, offen gesagt, keine Königslösung.

Das Gespräch führte Sibilla Bondolfi.

SRF 4 News, 1.6.2025, 4 Uhr ; 

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