Auch am gestrigen 1. Mai sorgten in Zürich und Basel Gruppen von Randalierern für Schlagzeilen. Der Kriminologe Dirk Baier beobachtet in letzter Zeit vermehrt spontane und unbewilligte Demonstrationen in Städten wie Zürich oder Bern, die in Gewalt ausarten. Immerhin: Die Polizei lerne, mit der Situation umzugehen.
SRF News: Stimmt der Eindruck, dass linksextreme Gewalt in Schweizer Städten zunimmt?
Dirk Baier: In den letzten Wochen kam es tatsächlich zu mehreren Vorfällen. So gab es zwei Demonstrationen in Zürich mit massiven Sachbeschädigungen, eine in Bern und gestern der 1. Mai. Auch dieser wurde von einzelnen Personen dazu genutzt, Gewalt auszuüben und die Polizei anzugreifen.
Bei den Protesten in Zürich und Bern der letzten Wochen schien die Polizei von der Gewalt überrumpelt. Sehen Sie das auch so?
Bei zwei der Ereignisse war die Polizei offenbar tatsächlich nicht vorbereitet. Sie wusste nicht, wann, wo oder wie etwas passieren würde. Die linke Szene schafft es also, sich relativ spontan zu besammeln und die Polizei vor Herausforderungen zu stellen.
Wie kann die Polizei diese Herausforderung meistern?
Sie hat Informanten in diesen Szenen, doch das reicht offenbar nicht. Man muss auch die Kommunikation in den sozialen Medien besser im Auge behalten. Zudem muss sich die Polizei vor allem in Grossstädten wie Zürich, Bern oder Basel und an Wochenenden darauf einstellen, dass sich solche Ansammlungen einfinden.
Die Polizei ist recht gut darin, aus Fehlern zu lernen und sich für nächste Ereignisse besser aufzustellen.
Dafür muss sie eine Strategie entwickeln. Immerhin: Die Polizei ist recht gut darin, aus Fehlern zu lernen und sich für nächste Ereignisse besser aufzustellen.
Wieso kommt es zu mehr Gewalttaten aus linksextremen Kreisen?
Derzeit beherrschen viele eher linke Themen die Agenda: Klima, Kriege, Armut, Energiekrise, Wohnungsnot – das spielt der Linken in die Hände. Mehr Personen interessieren sich für linke Themen und werden aktiv. Zudem gibt es seit 20 bis 30 Jahren in der Schweiz organisierten Linksextremismus.
In der Schweiz gibt es einen organisierten Linksextremismus – er versucht, junge Aktivisten zu rekrutieren oder Demonstrationen durchzuführen.
Man versucht also, junge Aktivisten zu rekrutieren oder Demonstrationen durchzuführen. Der Linksextremismus wird dadurch am Leben erhalten, und zusammen mit den aktuellen Themen kommt es vermehrt zu Aktivitäten.
Wer steckt hinter den Ausschreitungen?
Die Gruppe kann kaum demografisch verortet werden – es sind also nicht einfach Junge oder gut Gebildete oder Secondos. Vielmehr sind es Personen, die sich für linke Ideologien wie Anarchismus, Kommunismus oder Anti-Kapitalismus interessieren – und die gewaltbereit sind. Es sind kleine Gruppen, die die Szene organisieren, zu Demonstrationen aufrufen und die Polizei vor Probleme stellen.
Wie geht die Polizei am besten mit dieser Gewalt aus dem linksextremen Milieu um?
Es gibt kein allgemeingültiges Rezept – auch nicht aus anderen Ländern. Es bleibt nichts, als immer wieder dazuzulernen und die aktuelle Situation zu analysieren. Die Polizei sollte eher zurückhaltend agieren, um nicht Gegenreaktionen zu provozieren. Doch das ist teilweise gar nicht mehr möglich, etwa, wenn Gewalt aus der Demonstrationsgruppe heraus ausgeübt wird.
Wenn Molotowcocktails geworfen werden, muss die Polizei handeln – was wiederum zu Gegengewalt führen kann.
Wenn Molotowcocktails geworfen werden, muss die Polizei handeln – was wiederum zu Gegengewalt führen kann. Die Situation kann sich hochschaukeln. Am besten ist der Dialog: Mit der Demonstrationsgruppe in Kontakt bleiben, sie auf die nächsten Schritte der Polizei aufmerksam machen, falls Grenzen überschritten werden. Dieses Vorgehen scheitert aber immer wieder, weil die Demonstranten zu Gewalt übergehen.
Das Gespräch führte Marc Allemann.