14. August 1975 in Biel: In der Montagehalle von General Motors direkt beim Bieler Bahnhof rollt das letzte Auto vom Förderband, ein Opel Caravan. Von nun an stehen die Maschinen still. Es ist das Ende eines wichtigen Kapitels der Schweizer Industriegeschichte. Eines, das Parallelen hat zur heutigen Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump.
Nach der Weltwirtschaftskrise sucht die Schweizer Landesregierung in den 1930er-Jahren nämlich nach Wegen, Schweizer Arbeitsplätze zu sichern und die Industrie zu schützen. Sie beschliesst unter anderem hohe Zölle für Neuwagen aus dem Ausland.
Dabei lässt der Bundesrat allerdings ein Schlupfloch offen: Einzelteile wie Motor oder Hinterachse können zollfrei importiert werden. Das Ziel: Firmen sollen in der Schweiz produzieren und die hiesige Wirtschaft ankurbeln. Ähnlich wie es nun Donald Trump vorschwebt, der Produktionsstätten ins eigene Land zurückholen will.
Das «Buebetrickli» von Biel
In diesem Kontext wittert der Bieler Stadtpräsident Guido Müller Morgenluft. Die Wirtschaftskrise hat die Metropole der Schweizer Uhrenindustrie stark getroffen und Müller ist darum bemüht, Arbeitsplätze nach Biel zu holen. Er bietet dem US-Autokonzern General Motors eine neue Fabrikhalle auf einem Gelände mit Gleisanschluss an – dazu Steuererleichterungen für mehrere Jahre. Dieser Vorschlag wird von der Bieler Stimmbevölkerung an der Urne mit einer überwältigenden Mehrheit von 95 Prozent gutgeheissen.
Am 5. Februar 1936 ist es dann so weit: Das erste in Biel montierte Auto, ein Achtzylinder der Marke Buick, verlässt das Bieler Montagewerk. In den nächsten 40 Jahren wird Biel zur Hochburg der Schweizer Automobilindustrie. Rund 300'000 Autos werden in dieser Zeit in der Bieler Fabrikhalle zusammengeschraubt. Diese Autos erhalten das Gütesiegel «Montage Suisse» – es steht für qualitativ hochwertige Automobile.
Die goldenen Zeiten von General Motors in Biel
Einer, der sich gut an diese Zeit erinnert, ist Klaus Brommecker. Der heute 82-Jährige ist mit seiner Familie in Norddeutschland aufgewachsen. Nach einer Mechanikerlehre in einer Opel-Werkstatt folgt er einem Freund in die Schweiz und findet 1962 Arbeit bei General Motors in Biel. Im Werk läuft es zu dieser Zeit rund, das Förderband läuft praktisch ununterbrochen. In Europa herrscht Hochkonjunktur, immer mehr Leute können sich ein Auto leisten.
Eine Stimmung, die auch in der Fabrik zu spüren ist. «Wir waren eine grosse Familie», erzählt Klaus Brommecker. Bei Betriebsausflügen sei man mit fünfzehn Cars auf den Gotthard gefahren. General Motors habe eine eigene Fussballmannschaft gegründet und eine Musikgesellschaft, die an jedem Bieler Stadtfest aufgetreten sei. «Man war stolz, für General Motors in Biel zu arbeiten», so Brommecker.
General Motors gründete eine Musikgesellschaft, die an jedem Bieler Stadtfest spielte.
Eine wichtige Rolle spielt damals, in den 1960er-Jahren, die Marke Opel. «Opel war mehr als ein Jahrzehnt die Nummer eins in der Schweiz», so Brommecker. Gerade, weil das Fahrzeug für viele Leute erschwinglicher ist als frühere Marken.
So produzierte General Motors Autos in Biel im Jahr 1947
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Bild 1 von 5. Die Einzelteile wurden in grossen Holzkisten per Schiff und Zug nach Biel geliefert. Bildquelle: Keystone/Walter Studer.
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Bild 2 von 5. Auf einem langen Förderband wird die Carrosserie zusammengeschraubt. Bildquelle: Keystone/Walter Studer.
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Bild 3 von 5. Viele Komponenten stammen aus Schweizer Produktion, das hat der Bundesrat damals von General Motors verlangt. Bildquelle: Keystone/Walter Studer.
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Bild 4 von 5. Polster und Teppiche für die Innenausstattung wurden etwa aus Langenthal geliefert. Bildquelle: Keystone/Walter Studer.
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Bild 5 von 5. Die in Biel montierten Autos erhalten das Gütesiegel «Montage Suisse». Bildquelle: Keystone/Walter Studer.
Auch für Schweizer Zulieferer ist die Automontage in der Schweiz übrigens ein gutes Geschäft: Polster und Teppiche stammen aus Langenthal, Autolack aus Zürich und Glas für die Fensterscheiben wird aus Lausanne geliefert.
«Der Plan des Bundesrats, mit hohen Zöllen Arbeitsplätze in der Schweiz zu schaffen, hat also funktioniert», sagt Klaus Brommecker. US-Präsident Donald Trump mache im Grunde genommen etwas Ähnliches. «Nur macht es Trump mit der ganzen Welt», so Brommecker.
Der Niedergang
Gegen Anfang der 1970er-Jahre ist es mit der Blütezeit der Automontage in Biel allerdings bald vorbei. 1972 schliesst die Schweiz ein Assoziationsabkommen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG.
Mit dem Abbau der Zollbarrieren geht auch für das Bieler Montagewerk von General Motors die Existenzgrundlage verloren. Neuwagen aus Asien sind plötzlich günstiger und die Montage in der Schweiz schlichtweg nicht mehr konkurrenzfähig.
Am 14. August 1975 kommt dann das Unausweichliche: Die Maschinen im General-Motors-Werk in Biel stehen still. Rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlieren ihre Stelle.
Klaus Brommecker ist nicht darunter, er hat bereits 1971 zu einem anderen Unternehmen gewechselt. Geblieben ist aber seine Liebe für Autos. Und auch an seinem früheren Arbeitsort, in der ehemaligen Fabrikhalle beim Bieler Bahnhof, ist er ab zu: Dort befindet sich heute nämlich ein grosser Coop-Supermarkt.
Der 82-Jährige besucht die Filiale, seinen alten Arbeitsort, gerne. «Die Leute dort, die kennen mich mittlerweile», sagt Brommecker lachend. «Sie sagen dann: ‹Jetzt kommt wieder der Opel-Fritz!›»