Zum Inhalt springen

Ballett als Therapie MS und Parkinson: Tanzen für mehr Lebensqualität

Ein einzigartiges Projekt des Opernhauses Zürich wird regelrecht überrannt. Hier treffen sich MS- und Parkinson-Betroffene zum Tanzen.

Multiple Sklerose gilt als Krankheit mit 1000 Gesichtern. Die Beschwerden sind von Patient zu Patientin verschieden. Dies zeigt sich auch im Saal der Tonhalle Zürich.

Hier treffen sich seit Anfang Februar wöchentlich MS- und Parkinson-Betroffene zum gemeinsamen Tanzen. Die einen kommen mit Krücken, andere mit dem Rollstuhl. Und wieder andere können ganz ohne Hilfe gehen.

Garderobe, auf dem Boden liegen Krücken
Legende: Die einen kommen mit Krücken, andere mit dem Rollator und wieder andere sind auf keine Gehhilfen angewiesen. SRF/Kaa Linder

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nehmen auf Stühlen Platz, die einen Kreis bilden. In der Mitte sitzt der Cellist Mattia Zappa. Zu seiner Musik bewegt die Kursleiterin Clare Guss-West langsam ihre Arme. Die Teilnehmer machen ihr die Bewegungen nach. Sie stampfen auf dem Boden, schütteln ihre Hände aus oder drehen sich um die eigene Achse.

Teilnehmerinnen sitzen auf Stühlen und bewegen sich. In der Mitte sitzt ein Cellist.
Legende: Immer wieder werden die Proben von Profimusikerinnen und Profitänzern des Zürcher Tonhallorchesters und des Zürcher Opernhauses in den Proben begleitet. SRF/Kaa Linder

«Alle können tanzen, unabhängig vom Zustand ihres Körpers», ist Clare Guss-West überzeugt. Die ehemalige Profitänzerin arbeitet schon seit vielen Jahren mit Menschen, die eine körperliche Beeinträchtigung haben. «Beim Tanzen geht es in erster Linie ums gute Zuhören. Auf die Musik und den eigenen Körper.»

Projekt führt bereits lange Warteliste

Box aufklappen Box zuklappen

Das Interesse am Pilotprojekt «Connect» ist riesig. Die 60 Plätze waren innert kürzester Zeit vergeben. So wird bereits eine Warteliste mit mehr als 150 Interessentinnen und Interessenten geführt. Cathy Marston, Ballettdirektorin am Opernhaus Zürich, ist zuversichtlich, dass das Projekt nach der Pilotphase noch weitergeführt werden kann.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer kosten die Ballettkurse 100 Franken. Dies reiche nicht ganz aus, um die Kosten von rund 50'000 Franken zu finanzieren. Der Rest wird vom Opernhaus Zürich, der Zürcher Tonhalle sowie weiteren Sponsoren getragen.

Einer der Teilnehmer ist Ludwig. Er sei durch seine Frau auf das Projekt aufmerksam geworden. «Zuerst wollte ich noch einen Rückzieher machen und nun bin ich so stolz, Teil dieses Projekts zu sein», erzählt Ludwig, «es ist einfach fantastisch.»

Zuerst wollte ich noch einen Rückzieher machen. Nun bin ich stolz, Teil dieses Projekts zu sein.
Autor: Ludwig Teilnehmer Projekt «Connect»

Auch Michele, eine andere Teilnehmerin, ist begeistert. Hier könne sie Energie tanken, locker sein und loslassen. Die Krankheit unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern sei kaum ein Thema. «Ich weiss nicht, wer Parkinson und wer MS hat. Der Mensch interessiert mich, nicht seine Krankheit.»

Ballettdirektorin mit persönlichem Bezug zu MS

Das Pilotprojekt mit dem Namen «Connect» wurde vom Opernhaus Zürich und der Zürcher Tonhalle gemeinsam lanciert. Die Idee kam von der neuen Ballettdirektorin des Zürcher Opernhauses höchstpersönlich.

Im letzten Frühling stellte sich die gebürtige Engländerin Cathy Marston dem Zürcher Publikum vor – mit dem Ballett «The Cellist». Dieses erzählt die reale Geschichte der Cellistin Jacqueline du Pré, die 1987 ihren Kampf gegen MS mit gerade einmal 42 Jahren verloren hatte.

Cathy Marston
Legende: Cathy Marstons Ballett «The Cellist» wurde für das Londoner Royal Ballet geschrieben. Im Mai 2023 stellte sie sich damit dem Zürcher Publikum vor. Keystone/Walter Bieri

Marston selber hat einen persönlichen Bezug zu Multiple Sklerose. «Meine Mutter hatte MS», erzählt die 49-Jährige, die bereits während ihrer Zeit am Royal Ballett in London ein ähnliches Projekt ins Leben gerufen hatte. «Ich bin überzeugt, dass Tanz und Musik das Leben von Betroffenen verändern können.»

Studien belegen positive Wirkung

Dass Tanz und Musik bei Menschen mit chronischen Nervenkrankheiten eine positive Wirkung haben können, beweisen diverse Studien.

Bewegung hat einen grösseren Einfluss als jedes Medikament.
Autor: Marianne Steitz Ärztin an der Klinik für Neurologie am Universitätsspital Zürich

Im Fall von Parkinson habe man festgestellt, dass sich der Zustand der Betroffenen weniger schnell verschlechterte, sagt Marianne Steitz, Neurologin am Universitätsspital Zürich, die das Zürcher Tanzprojekt mit ihrem medizinischen Fachwissen unterstützt.

«Bewegung hat einen grösseren Einfluss auf den Gesundheitszustand von Parkinson-Kranken als jedes Medikament.» Und gerade beim Tanzen können Parkinson-Betroffene das lernen, was ihnen mehr und mehr verloren geht: Koordination, Gleichgewicht und Körperstabilität.

Im Falle von Multipler Sklerose sei die Forschung noch nicht so weit wie bei Parkinson, erklärt Oberärztin Veronika Kana, Spezialistin für MS am Unispital Zürich. «Studien haben aber insbesondere positive psychologische Effekte gezeigt, welche die Lebensqualität der Betroffenen erhöht haben.»

Regionaljournal Zürich Schaffhausen, 13.3.2024, 12:03 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel