Um Kinder noch besser vor sexuellen Übergriffen zu schützen, setzt der Kanton Zürich neu bei möglichen Tätern an. Menschen mit einer pädophilen Veranlagung sollen bei der neu geschaffenen «Präventionsstelle Pädosexualität» niederschwellig Hilfe erhalten. Deren Leiterin Fanny de Tribolet erzählt im Gespräch, wie sie Pädophilen helfen will.
SRF News: In der Bevölkerung gibt es eine sehr grosse Abneigung gegen Menschen mit pädophilen Neigungen. Sie selbst haben tagtäglich mit diesen Menschen zu tun. Verspüren auch Sie Abneigung oder sogar Ekel?
Fanny de Tribolet: Natürlich lösen schwere Delikte schwierige Emotionen aus. So etwas wollen wir nicht schönreden oder die Täter gar in Schutz nehmen. Wir beziehen ganz klar Stellung gegen sexuellen Missbrauch. Man muss aber auch sagen: Die pädophile Neigung allein bedeutet nicht, dass jemand zum Straftäter wird.
Nur die Veranlagung allein bedeutet nicht, dass man zum Täter werden muss.
Am Montag wird die neue Fachstelle eröffnet. Was machen Sie, wenn sich jemand meldet und sagt, in seiner Nachbarschaft wohne neu ein 12-jähriges Mädchen und er habe sexuelle Fantasien mit ihr?
Wenn schon Kontaktversuche stattfanden und diese mehr werden, müssen wir eingreifen und dem Patienten nahelegen, dass er auszieht. Es muss Distanz geschaffen und eventuell auch Bezugspersonen informiert werden. Wenn die Fantasien bereits so konkret sind, geht es in erster Linie darum, potenzielle Opfer zu schützen.
Wie realistisch ist ein solcher Fall?
Solche Fälle können schon vorkommen. Die Regel wird aber eher sein, dass die Vorstellungen abstrakter sind. Viele Fälle werden den Konsum von Kinderpornografie betreffen.
Nebst der Veranlagung gibt es offenbar zwei weitere Gründe für pädosexuelles Verhalten: Man glaubt, für Erwachsene nicht attraktiv zu sein, oder man war früher selbst ein Opfer. Wie können Sie diese Faktoren beeinflussen?
Dass jemand zum Opfer wurde, können wir nicht rückgängig machen. Aber wir können mit den Patienten arbeiten und ihnen beibringen, sich von den eigenen Erlebnissen in der Kindheit zu distanzieren. Auch sogenannte kognitive Verzerrungen können wir bearbeiten: Wenn jemand etwa überzeugt ist, sein eigenes Trauma sei nicht so schlimm und deshalb die eigenen Handlungen gegenüber Kindern verharmlost.
Die pädophile Veranlagung selbst ist nicht therapierbar. Die sexuelle Präferenz wählt man nicht, das ist Schicksal. Doch: Da sich die meisten Pädophilen auch von Erwachsenen angezogen fühlen, versuchen wir, diesen Teil zu stärken.
Auf ihrer Homepage steht zum Beispiel: «Wir helfen Ihnen, Ihre sexuellen Präferenzen zu akzeptieren und in ihr Selbstbildnis zu integrieren». Was heisst das konkret?
Wer eine von der gesellschaftlichen Norm abweichende sexuelle Präferenz hat, spaltet diese oft ab und ignoriert sie. Bei Stress und Belastung kann die Person aber trotzdem zum Täter werden. Hier geht es letztlich darum, zu verstehen, woher die Neigung kommt. Dass es eben keine Wahl war und dass man lernen muss, damit umzugehen. Es gilt, Verantwortung für sich und das eigene Verhalten zu übernehmen. Heilen kann man die Veranlagung nicht.
Das Ziel ist es, Kinder zu schützen. Wissen Sie schon, ob Sie dieses Ziel erreichen können?
Da muss ich auf Erfahrungen aus Deutschland verweisen. Da gibt es ähnliche Anlaufstellen und diese berichten, dass es zu einer Abnahme von Kinderpornografie-Konsum kam, einer besseren Kontrolle und Eigenwahrnehmung, oder auch zu mehr Empathie gegenüber Kindern.
Das Gespräch führte Hans-Peter Küenzi.