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Besuch in Brigels So denkt das Heimatdorf über Pierin Vincenz

Die negativen Schlagzeilen über den Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz bewegen auch in seiner Heimat. Ein Besuch vor Ort.

Prominent, aber zugänglich. Wichtig, aber bodenständig. Zu verstehen, dass dieser nette Mensch Pierin Vincenz vor die Richter muss, das scheint für die Menschen in seiner Heimat im bündnerischen Brigels in der Surselva schwierig. Und fürs Verurteilen, da seien die Richter zuständig, heisst es auf der Strasse in Andiast, einem der Ortsteile der Gemeinde Brigels.

Stimmen aus Brigels

In Andiast ist Pierin Vincenz stark verwurzelt. Seine Eltern stammen aus dem Bauerndorf, das sich mittlerweile als kleiner Wintersportort etabliert hat. Hier besitzt der ehemalige Raiffeisen-Chef zusammen mit seinen Schwestern ein Ferienhaus.

Vincenz kennt hier oben jedes Kind. Die negativen Schlagzeilen sorgen darum für Gesprächsstoff, denn der gesellige Prominente habe viel Gutes für die Region geleistet, heisst es auf Nachfragen im Dorf. Viele können kaum glauben, was ihm zur Last gelegt wird.

Da muss ja etwas dran sein.
Autor: Passantin Auf der Strasse in Andiast unterwegs

Es ist nicht einfach, in Andiast etwas über den Ex-Raiffeisen-Chef und Topbanker Pierin Vincenz zu erfahren. Viele halten sich zurück. Es sei noch nicht der Moment, sich zu äussern. Solange nichts bewiesen sei, wolle man nicht Stellung beziehen und schon gar nicht kundtun, heisst es auf der Strasse in Andiast und weiter: Fürs Verurteilen seien die Richter zuständig.

Retter der Bergbahnen

Dennoch beschäftigt der Fall Vincenz die Menschen im Dorf. Sie lesen in den Medien von den Vorwürfen. Auf Nachfragen ist bei vielen die Enttäuschung hörbar: «Da muss ja etwas dran sein», sagt eine Passantin und eine andere Stimme sagt: «Das gibt meinem Bild über Pierin einen Knick.»

Trotzdem stehen viele hinter Pierin Vincenz und halten ihm die Stange. Sein Engagement bei der Bergbahnen Brigels Waltensburg Andiast AG hat Eindruck hinterlassen.

Als die Bergbahnen nach einem weiteren miserablen Geschäftsjahr 2014/2015 in arge Schieflage gerieten, hatte sich Pierin Vincenz sofort engagiert. Zusammen mit zwölf Investoren schoss er drei Millionen Franken ein und schmiedete einen Rettungsplan. Dafür durfte er im Verwaltungsrat Einsitz nehmen.

Hoffen auf Unschuld

Ein solches Erlebnis schweisse zusammen, sagt Marcel Friberg, der ehemalige Verwaltungsratspräsident. Er hofft auf die Unschuld seines Freundes: «Ich warte einfach sehr gelassen ab, was das Gericht entscheidet. Für mich ist Pierin Vincenz einfach Pierin Vincenz: «Da ändern auch die aktuellen Ereignisse nichts an unserer Beziehung!»

Er war ein toller, freundlicher Gast.
Autor: Guido Sgier Hotelier in Andiast

Marcel Friberg schiebt nach, dass es andere Persönlichkeiten in der Finanzbranche gebe, deren Machenschaften zu untersuchen sich ebenfalls lohnen würde. Aber es sei klar: «Wenn sich Pierin etwas hat zuschulden kommen lassen, dann muss er dafür geradestehen.» Falls es tatsächlich zu einer Haftstrafe komme, würde er seinen Freund auf jeden Fall im Gefängnis besuchen.

Verbundenheit mit Familie Vincenz

Ähnlich tönt es im Hotel und Restaurant Postigliun in Andiast. Man verliert hier kein schlechtes Wort über den prominenten Bündner. Das stattliche Haus gehörte einer Schwester des Vaters von Pierin Vincenz. Darum sei man hier mit der Familie sehr verbunden, erzählt der Hotelier Guido Sgier.

Ein Mann mit Rang und Namen

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Vincenz' Familie ist verwurzelt in Andiast, einem der Ortsteile der Gemeinde Brigels. Sein Vater Gion Clau Vincenz präsidierte den Verwaltungsrat von Volg und den Bündner Bauernverband. Ab 1968 sass er für die CVP im Ständerat. Nach einem Steuerskandal musste er jedoch zurücktreten. Nach diesem Rücktritt amtete er von 1984 bis 1992 als Präsident des Verwaltungsrats des Schweizer Verbands der Raiffeisenkassen (heute Raiffeisenbank). Sein Sohn war von 1999 bis 2015 deren CEO.

«Pierin Vincenz kehrt immer bei uns ein, wenn er in Andiast ist, er ist ein toller, freundlicher Gast», so Guido Sgier. Vincenz frage immer interessiert nach, wie es gehe und wolle wissen, wie die Geschäfte laufen. Im Restaurant werde nicht viel über den Fall gesprochen. Das Thema sei sehr unangenehm.

Die Tatsache aber, dass der ehemalige Raiffeisen-Chef bereits 100 Tage in Untersuchungshaft absitzen musste, beschäftigt den Hotelier Guido Sgier: «Ich finde, man hat Pierin Vincenz wie einen Schwerverbrecher behandelt. Was vorgefallen ist, soll jetzt das Gericht beweisen, vorher glaube ich nichts.»

Regionaljournal Graubünden, 25.01.2022, 17:30 Uhr / Schweiz aktuell, 26.01.2022, 19:00 Uhr ; 

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