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Brisante Expertenberichte Psychiatriezentrum Münsingen hielt Missstände unter dem Deckel

Es geht um gefährdete Patientensicherheit und versuchte Einführung von umstrittenen Drogentherapien.

Zwei Berichte offenbaren Missstände, die bislang nicht bekannt waren. SRF hat Einsicht in diese Untersuchungsberichte verlangt, die das Psychiatriezentrum Münsingen PZM im Jahr 2022 hatte erstellen lassen. Erst mit Berufung auf das Öffentlichkeitsprinzip gab das PZM sie heraus.   

Auf dem Bild sind die beiden gebundenen Untersuchungsberichte auf einem Stapel zu sehen.
Legende: In ihren Berichten schildern die Experten problematische Zustände an einer der grössten Kliniken der Schweiz. SRF

Die Berichte zeichnen auf fast 120 Seiten ein desolates Bild der Klinik. Zu lesen ist von internen Streitereien, schwacher Führung und fehlender Kontrolle. Pflegende setzten teilweise ärztliche Anordnungen nicht um, was für die «Patientensicherheit eine erhebliche Gefahr» dargestellt habe.

Weiter ist in den Expertenberichten zu lesen, dass der damalige ärztliche Direktor versucht habe «unter dem Radar» Drogentherapien einzuführen und eine Patientin sei mit einer Substanz behandelt worden, die nicht für die Krankheit zugelassen ist. 

Auf dem Bild ist ein umgekippter Plastikbecher zu sehen. Davor liegen bunte Pillen.
Legende: Der damalige ärztliche Direktor soll «fasziniert von der Psycholyse» gewesen sein, dem Einsatz von psychodelischen Drogen in der Behandlung. Es sei um psychodelische Substanzen wie Psilocybin (halluzinogene Pilze) und MDMA gegangen, heisst es in den Berichten. SRF

Diese brisanten Untersuchungsergebnisse waren der Öffentlichkeit bis heute nicht zugänglich. An einer eigens ausgerichteten Medienkonferenz zu den Berichten im Juni 2022 benannte sie die Klinik nicht. Damals war lediglich die Rede von «organisatorischen und führungsspezifischen Schwachstellen» am PZM. Und davon, dass man die Arbeit des damaligen ärztlichen Direktors «nicht ausreichend» kontrolliert habe. Die Klinik gab zudem bekannt, man habe eine unabhängige Meldestelle geschaffen, bei der Fehlverhalten anonym deponiert werden könne. 

So hat SRF recherchiert

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Im Juli 2022 stellte SRF ein Gesuch um Akteneinsicht beim PZM bezüglich zweier Untersuchungsberichte, welche das PZM bei Experten in Auftrag gegeben hatte. SRF tat dies gestützt auf das Öffentlichkeitsprinzip. Ziel war es, sich ein unabhängiges Bild der Situation am PZM zu machen, so wie sie sich bis Mitte 2022 zeigte. Im Mai 2023 entschied die zuständige bernische Gesundheitsdirektion, dass die Klinik die beiden Untersuchungsberichte aushändigen muss. SRF erhielt die geschwärzten Originalberichte im Oktober 2023. Im Dezember 2023 fand ein Treffen mit der Anwaltskanzlei der PZM AG statt, um die Inhalte der umfangreichen Schwärzungen zu besprechen.

Mit Fachpersonen gespiegelt

Weiter sprach SRF mit Personen, die in den Originalberichten genannt werden. Zudem holte SRF die Fachmeinung mehrerer Experten zu den Inhalten der Originalberichte ein. Etwa von Psychiater und Gutachter Thomas Maier, der Zugang zu den ungeschwärzten Originalberichten hatte. Weiter stützt sich SRF auf Hintergrundgespräche mit Fachpersonen und Behörden zu spezifischen Fachthemen, wie beispielsweise den Einsatz und die Beschaffenheit von Ketamin.

Dass nicht alle Missstände publik gemacht wurden, kritisiert Verwaltungsrechtsexperte Markus Müller von der Uni Bern: «Wichtige Punkte werden so der Bevölkerung vorenthalten. Sie hat aber das Recht zu wissen, wenn in einer kantonalen Klinik gravierende Missstände bestehen.» Und: «Es geht um Menschen, die gefährdet werden, und da ist absolute Transparenz nötig.»  

Das PZM nimmt schriftlich Stellung: «Seit Februar 2022 hat das PZM den Kanton Bern aktiv und transparent über die Untersuchung informiert. Das PZM war sich der hohen Sensibilität der Thematik von Anfang an bewusst und hat nichts zu verheimlichen versucht.» Die Berichte seien von unabhängigen Experten verfasst worden. 

Die Missstände konkret 

Wegen Konflikten und Querelen zwischen Abteilungen und Chefärzten fehlte es an Führung. Pflegende setzten teilweise ärztliche Anordnungen nicht um. Für die untersuchenden Experten eine «hohe Alarmstufe»: «Dies ist für das Funktionieren einer Klinik in höchstem Masse problematisch und stellt für die Patientensicherheit eine erhebliche Gefahr dar.» Weiter sei dies für die Behandlungsqualität «kritisch».  

Das PZM schreibt dazu: «Der Untersuchungsbericht der Experten hält fest, dass Patient:innen zu keinem Zeitpunkt zu Schaden gekommen sind.» 

Grosses Reputationsrisiko
Autor: Aussage einer befragten Person in der Untersuchung

In den Fokus der Experten rückte auch der damalige ärztliche Direktor. Er sei «fasziniert von der Psycholyse» gewesen, dem Einsatz von psychodelischen Drogen in der Behandlung. Es sei um psychodelische Substanzen wie Psilocybin (halluzinogene Pilze) und MDMA gegangen, heisst es in den Berichten. Er habe «unter dem Radar» erste Schritte unternommen, um die umstrittene Therapiemethode am PZM einzuführen. 

Auf dem Foto ist eine Passage zu Psycholyse aus dem Untersuchungsbericht zu sehen.
Legende: Befragte Kaderpersonen sprechen in den Untersuchungsberichten davon, dass sie diese Psycholyse-Therapien kritisch sehen. SRF

Die Vorgesetzten wussten nichts von den Plänen für Psycholyse-Therapien. In den Expertenberichten sprechen sie von einem «grossen Reputationsrisiko» für das PZM. 

Dazu schreibt das PZM: «Laut Untersuchungsbericht gab es keine Hinweise auf die Anwendung nicht zugelassener Behandlungsmethoden oder Substanzen.» 

Behandlungsversuch wurde nicht richtig dokumentiert 

Den Experten fiel auch die Therapie einer Patientin mit Ketamin auf, eine «potenziell gefährliche Behandlung». Ketamin ist ein halluzinogen wirkendes Narkosemittel, welches auch bei Depressionen eingesetzt wird. Die Patientin litt jedoch unter einer bipolaren Störung. Dafür «bestand nur sehr beschränkte uns bekannte wissenschaftliche oder klinische Evidenz (...) welche den Einsatz von Ketamin rechtfertigen würde», schreiben die Experten. Die Patientin sei über den Behandlungsversuch nicht entsprechend aufgeklärt und dieser sei auch nicht richtig dokumentiert worden.   

Auf dem Foto ist eine Passage zu Ketamin aus dem Untersuchungsbericht abgebildet.
Legende: In den Untersuchungsberichten wird beschrieben, wie der Behandlungsversuch mit Ketamin ablief. SRF

Das PZM nimmt allgemein Stellung: «Es konnte lediglich ein einzelner Fall einer off-label-Behandlung mit Ketamin festgestellt werden. Ketamin wurde und wird international off label bei therapieresistenten Depressionen eingesetzt.» 

Das sagt der damalige ärztliche Direktor 

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Der entlassene ärztliche Direktor des PZM äussert sich erstmals öffentlich. Er nimmt schriftlich Stellung: 

«Der Untersuchungsbericht beschreibt Probleme in der Leitung und in der Organisation und hebt dies als ein Hauptproblem hervor. Diesem stimme ich zu. Dieses Problem ist durch meine Kündigung aus meiner Sicht nicht behoben.» Die Missstände in jener Klinik, in der er zur damaligen Zeit ebenfalls Chefarzt war, hätten sich vor allem im Pflegebereich gezeigt und für diesen sei er nicht verantwortlich gewesen. 

In den Untersuchungsberichten stehe korrekterweise, dass er Vorabklärungen getroffen habe, um Therapien mit bewusstseinserweiternden Substanzen am PZM aufzubauen. «Ich hatte überlegt, diesen innovativen Ansatz im PZM auf Grund der überragenden Evidenz einzuführen. Dies wurde aber von mehreren Kadermitarbeitern und der Leitung abgelehnt und wurde daher fallen gelassen. Aus meiner Sicht war dies eine verpasste Innovation.» Zum Behandlungsversuch einer Patientin mit Ketamin schreibt er: «Durchgeführt habe ich diese Therapie selbst nicht, hierfür waren andere verantwortlich.» Dass die Formalitäten nicht «ordnungsgemäss» durchgeführt worden seien, habe ihn gewundert. 

Dass es im Psychiatriezentrum Münsingen zu solchen Missständen kam, schätzen Experten als Reputationsproblem ein. «In der Psychiatrie ist es besonders gravierend, wenn Bestimmungen nicht eingehalten werden», sagt Psychiater und Gutachter Thomas Maier. «Die Glaubwürdigkeit der Institutionen steht auf dem Spiel. Aber auch die Sicherheit und die Gesundheit der Patienten. Sie sind in der Psychiatrie besonders abhängig.» 

PZM wurde von verschiedenen Experten auf Missstände untersucht

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Im Februar 2022 geriet das Psychiatriezentrum Münsingen in die Schlagzeilen. Mehrere Medien berichteten, dass an der Klinik drei Anhängerinnen der umstrittenen Kirschblütengemeinschaft beschäftigt gewesen waren. Bei ihnen handelte es sich um zwei Psychiaterinnen und eine Psychologin. Die Kirschblütengemeinschaft wird von Fachpersonen als «sektenähnlich» beschrieben. Mehrere Schweizer Fachverbände der Psychiatrie und Psychologie halten das Gedankengut in Verbindung mit einer Tätigkeit in einer Klinik für unvereinbar. Im Zentrum der Vorbehalte gegen die Kirschblütengemeinschaft steht etwa der Vorwurf, dass auch sexuelle Grenzen zwischen Therapeuten und Patientinnen nicht immer eingehalten würden, sowie der teilweise Einsatz psychodelischer Substanzen in der Therapie. 

Verschwörungserzählung hielt Einzug

Im Frühling 2022 deckte das Regionaljournal Bern Freiburg Wallis von SRF auf, dass am PZM Patientinnen und Patienten übermässig mit Zwang behandelt wurden. Beispielsweise wurden manche tage- oder wochenlang mit Gurten ans Bett gefesselt. Auch hatte sich die Verschwörungserzählung rund um «Satanic Panic» unter Ärztinnen und Psychologen verbreitet. Einige Fachpersonen waren davon überzeugt, dass es Täter gibt, welche die Gedanken von Frauen programmieren und sie fernsteuern könnten. 

Einsicht in Originalberichte gefordert

In der Folge setzte die bernische Gesundheitsdirektion den psychiatrischen Gutachter Thomas Maier ein, der in seiner Untersuchung die SRF-Recherchen bestätigte. Auch das PZM liess die Vorkommnisse von zwei Expertengruppen untersuchen. Offiziell hiess es, man habe «organisatorische und führungsspezifische Schwachstellen» gefunden und Massnahmen ergriffen. Etwa wurde der ärztliche Direktor entlassen. Das PZM hielt fest, dass durch die ehemaligen Mitarbeiterinnen aus der Kirschblütengemeinschaft keine Patientinnen und Patienten zu Schaden gekommen seien. Weiter seien keine «strafrechtlich relevanten Verfehlungen» am PZM festgestellt worden. Alle Inhalte der Originalberichte wurden der Öffentlichkeit bis jetzt nicht bekannt gegeben. Aus diesem Grund forderte SRF Einsicht in die Berichte. 

Nahm der Kanton seine Aufsicht wahr?

Weitere Recherchen von SRF Investigativ und dem Regionaljournal Bern Freiburg Wallis zeigen, dass die bernische Gesundheitsdirektion – und damit die Bewilligungs- und Aufsichtsbehörde – nicht vollumfänglich über die Missstände im Bild war. Sie bestätigt auf Anfrage, man habe die beiden Expertenberichte im September 2023 erhalten. 15 Monate nach deren Abschluss. Ob die Gesundheitsdirektion die Berichte selbst eingefordert oder auf anderen Wegen erhalten hat, lässt sie offen. 

Laut bernischem Spitalversorgungsgesetz ist das PZM verpflichtet, die Gesundheitsdirektion über Probleme zu informieren. Die Klinik schreibt dazu: «Das PZM hat sich jederzeit an die Meldepflicht gegenüber dem Kanton Bern sowie an die gesetzlichen Vorgaben gehalten.» 

Für Verwaltungsrechtsexperte Markus Müller ist fraglich, ob die Regierung als Aufsichtsbehörde ihren Job gemacht hat: «Sobald eine Krise im Anzug ist, muss die Regierung ihre Klinik an die kurze Leine nehmen, genauer hinschauen und allenfalls intervenieren.»  

Auf dem Foto ist das Hauptgebäude des PZM an einem regnerischen Tag zu sehen. Ein Spaziergänger geht auf die Klinik zu.
Legende: Im Psychiatriezentrum Münsingen werden jedes Jahr über 3000 Patientinnen und Patienten behandelt. Die Klinik ist für die Versorgungslage des Kantons wichtig. Keystone/Anthony Anex

Die bernische Gesundheitsdirektion beantwortet die Fragen von SRF nur allgemein und geht nicht auf die nun aufgedeckten Missständen ein. In der Stellungnahme betont sie, man habe 2022 einen eigenen Experten mit einer Untersuchung beauftragt, als erste Vorwürfe publik wurden. Er habe Zugang zu allen wichtigen Informationen gehabt und diese in seinen Bericht integriert. Und: «Das PZM hat gehandelt, setzt die Empfehlungen um und berichtet der GSI regelmässig.» 

Mittlerweile hat sich die mächtige Geschäftsprüfungskommission des Grossen Rates des Kantons Bern in die Affäre eingeschaltet. Sie hat die Aufsicht über die Regierung und will demnächst die Öffentlichkeit informieren. 

So äussert sich das Psychiatriezentrum Münsingen

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Autorin und Autoren: Sonja Mühlemann, Christian Liechti und Philippe Odermatt.

Info3, 10.01.2024, 17.00 Uhr

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