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Wegen Kirschblütler-Affäre Psychiatriezentrum Münsingen entlässt ärztlichen Direktor

  • Das Psychiatriezentrum Münsingen (PZM) entlässt den ärztlichen Direktor Thomas Reisch, der die Abteilung für Depression und Angst leitete.
  • Das Zentrum hatte drei Anhängerinnen der umstrittenen Kirschblüten-Gemeinschaft beschäftigt.
  • Ein Untersuchungsbericht zeigt jetzt auf, dass keine Patientinnen und Patienten zu Schaden gekommen sind.

Während mehrerer Jahre arbeiteten im Psychiatriezentrum Münsingen zwei Psychiaterinnen, die der sektenähnlichen Kirschblütengemeinschaft angehören. Zudem arbeitete die Tochter des Kirschblüten-Gründers beim PZM: Die Enthüllungen des «Beobachter» und des SRF Regionaljournal Bern Freiburg Wallis brachten einer der grössten Kliniken der Schweiz im Februar 2022 in Erklärungsnot.

Thomas Reisch
Legende: Der ärztliche Direktor des PZM, Thomas Reisch, muss wegen der Kirschblütler-Affäre gehen. PZM Münsingen

Denn der ärztliche Direktor der Klinik für Depression und Angst des PZM, Thomas Reisch, hatte die Psychiaterinnen persönlich eingestellt und muss wegen der Kirschblütler-Affäre gehen. Zudem eine «private Beziehung» zu einer Person der Kirschblüten-Gemeinschaft.

Reisch muss gehen – keine Patientinnen und Patienten betroffen

Jetzt zieht das PZM die Konsequenzen und kündigt Reisch. Dies, nachdem eine externe Untersuchung Handlungsbedarf aufgezeigt und die Recherchen bestätigt hat. Das Psychiatriezentrum hält jedoch fest, dass bei den Kirschblütler-Psychiaterinnen während ihrer Anstellung kein Fehlverhalten festgestellt werden konnte.

Es gibt keine Hinweise, dass es zu einer Anwendung von nicht erlaubten Behandlungen oder Medikamenten gekommen ist.
Autor: Jean-Marc Lüthi VR-Präsident PZM

PZM-Verwaltungsratspräsident Jean-Marc Lüthi sagte an der Medienkonferenz: «Es ist kein Patient zu Schaden gekommen. Zudem gibt es keine Hinweise, dass es zu einer Anwendung von nicht erlaubten Behandlungen oder Medikamenten gekommen ist.»

So kam es zur Entlassung des ärztlichen Direktors

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Die Probleme um den ärztlichen DirektorThomas Reisch waren laut PZM intern schon länger bekannt. Konsequenzen hatten sie aber lange nicht. «Die Medienberichte waren sicher ein Katalysator im ganzen Prozess», sagt Jean-Marc Lüthi, PZM-Verwaltungsratspräsident, zu Radio SRF.

Reisch war ein international angesehener Psychiatrieprofessor. Hatte das PZM Beisshemmung, gegen Reisch vorzugehen? Das sei ein sehr grosses Spannungsfeld, eine Güterabwägung gewesen, so Lüthi dazu: «Jeder Mensch hat seine positiven und negativen Seiten. Das gilt auch für Führungspersonen», erklärt der oberste PZM-Chef. Sowohl straf- wie arbeitsrechtlich habe es von Reisch keine Verfehlungen gegeben. Darum habe es eine unabhängige Untersuchung gebraucht, welche entsprechenden Handlungsbedarf aufgezeigt habe. Und zwar die Entlassung von Reisch.

Man distanziere sich aber klar vom Gedankengut und den Therapievorstellungen der Kirschblüten-Gemeinschaft.

Führungsprobleme wegen Kirschblütler

Klinikleiter Thomas Reisch hatte intern darüber informiert, dass er eine Beziehung mit einer Kirschblütlerin führe. Reisch selbst sei aber kein Mitglied, betont Lüthi. Genaue Angaben könne man nicht machen: «Hier geht es um den Persönlichkeitsschutz. Ich kann nur sagen, dass es ein Führungsproblem war», so Lüthi weiter.

Als weitere Folge will das PZM vorerst keine Mitglieder der Gemeinschaft mehr anstellen. Zudem schafft das PZM eine externe, anonyme Meldestelle, wo Whistleblower mögliche Missstände beim PZM melden können.

Was ist die Kirschblüten-Gemeinschaft?

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Die Kirschblüten-Gemeinschaft wurde 1996 gegründet. In der Solothurner Gemeinde Lüsslingen-Nennigkofen leben laut eigenen Angaben rund 200 Personen, die sich zur Gemeinschaft zählen. Dies ist rund ein Fünftel der Dorfbevölkerung.

Im Dorf ist die Gemeinschaft nicht unumstritten. Für Sektenexpertinnen wie Susanne Schaaf von Infosekta gilt die Lüsslinger Gemeinschaft als «sektenhafte Gruppierung».

Gründer der Kirschblüten-Gemeinschaft war der 2017 verstorbene Psychiater Samuel Widmer. Die Gruppe lebt nach eigenen Regeln. In der Gemeinschaft geht es laut eigenen Angaben um Selbsterkenntnis zu den Fragen, wie jeder einzelne Mensch wirklich leben möchte und darum, «das Thema Sex, das für viele psychische Krankheiten verantwortlich ist, zu thematisieren und zu enttabuisieren, zum Beispiel mit der Tantrischen Therapie.»

Die Gemeinschaft propagiert beispielsweise freie Liebe. Verschiedentlich wurde ihr auch vorgeworfen, sie praktiziere Therapien mit Sex und Drogen. Der verstorbene Gründer Samuel Widmer hatte zwei Frauen und elf Kinder, und schrieb in seinen Büchern unter anderem gegen das Tabu des Inzests an. Die Kirschblüten-Gemeinschaft beschäftigte auch die Behörden. So wurde gegen Psychiater Samuel Widmer ermittelt, weil er bei Therapiesitzungen illegale Substanzen eingesetzt haben soll. Die Verfahren wurden eingestellt.

Untersuchung wegen Zwangsmassnahmen läuft weiter

Noch im Gang ist eine weitere Untersuchung, die der Kanton Bern in Auftrag gegeben hat. Sie soll aufzeigen, ob in Münsingen wegen Personalmangels vermehrt Zwangsmassnahmen wie Isolation oder Fixierung angewendet werden. Das SRF Regionaljournal Bern hatte die Vorwürfe von Mitarbeitenden im März publik gemacht .

Regionaljournal Bern Freiburg Wallis, 21.06.2022, 12:03 Uhr ; 

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