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Bücherverbrennung Warum Mickey Mouse vor 60 Jahren auf dem Scheiterhaufen landete

1965 wurde sogenannte Schundliteratur in Brugg AG verbrannt. Die Diskussion von damals ist auch heute noch aktuell.

Was ist nur los mit Franz? Das fragten sich Leserinnen und Leser nach einem Artikel in der NZZ am 7. April 1965. Der ehemalige Musterschüler mutiere zum Rabauken. Plötzlich schummelte er in der Schule, schlug Mitschüler und sogar seine eigene Mutter.

«Da könnten Schundhefte im Spiel sein», vermutete einer seiner Lehrer. Und wahrhaftig: Die Mutter fand einen ganzen Einkaufskorb voller Comics über hünenhafte Affenmenschen, fauchende Bestien und kraftstrotzende Supermenschen mit Röntgenblick.

Schweizweite Bewegung gegen Schundliteratur

Historiker Titus Meier spricht von einem Generationenkonflikt: «Die Jugendlichen machten nicht mehr alles, was die Eltern ihnen sagten», erklärt er. «Die Gesellschaft fragte sich, warum das so ist und da fiel auf, dass die Jugendlichen eben diese Heftchen lesen.»

Ein Schwarzweissfoto eines Kiosks in der Schweiz.
Legende: An Schweizer Kiosken gab es damals ganz viel Schundliteratur zu kaufen. Keystone/PHOTOPRESS-ARCHIV/STR

Schund musste als Universalerklärung herhalten für das, was zwischen den Generationen schieflief. Einer der Anführer dieser Bewegung war ein Lehrer aus Baden AG. Hans Keller bekämpfte damals Schundliteratur seit Jahren und war als «Schundpapst» bekannt.

Schund war für ihn «alles, was verblödet, was verführt, was verhetzt», wie er in einem Beitrag im Schweizer Fernsehen ausführte. Jetzt, da das Thema schweizweit in den Medien war, nahm seine Bewegung Fahrt auf.

Fackelzug und Scheiterhaufen in Brugg

Sein Plan: Am 1. August 1965 soll in allen Schweizer Städten beim Augustfeuer Schundliteratur verbrannt werden. Den Anfang machen sollte eine grosse Verbrennungsaktion im Mai im aargauischen Brugg.

Der Anlass war gut organisiert. Busse und Lieferwagen, mit Megafonen ausgerüstet, fuhren durch die Gassen. Kinder, Jugendliche und Erwachsene brachten ihre Boulevardblätter, Comics und Räuberromane zur Sammelstelle. Die Migros sponserte das Essen für den Anlass und der Verlag Ex Libris bot Bücher als Ersatz an.

Ein Schwarzweissfoto von Jugendlichen und Kindern, die Zeitschriften auf einen Anhänger werfen.
Legende: Kistenweise brachten die Menschen ihre Schundliteratur zur Sammelstelle. SRF

Später an diesem Maiabend zieht ein Umzug durch die Gassen Richtung Brugger Schachen. Angeführt wird der Zug von einem VW-Bus mit der Aufschrift «Kampf dem Schund».

Schundverbrennung in Brugg 1965

Im Schachen wird dann das Feuer gezündet und die Menge schaut begeistert zu, während Hefte, Bücher und Comics auf dem Scheiterhaufen in Flammen aufgehen.

Verbrennung war Anfang vom Ende

Die medial begleitete Verbrennung in Brugg war der Wendepunkt im Kampf gegen den Schund. In einigen Medien wurde der Anlass mit der Bücherverbrennung während der Zeit des Nationalsozialismus verglichen.

Bücherverbrennung

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Am 10. Mai 1933 fanden im nationalsozialistischen Deutschland im Zuge einer Aktion der Deutschen Studentenschaft und der Hitlerjugend Bücherverbrennungen statt.

Es wurden in 22 Universitätsstädten, beginnend mit dem Opernplatz in Berlin, öffentlich zehntausende Bücher von jüdischen, marxistischen und pazifistischen Schriftstellern konfisziert und verbrannt. Es war ein symbolischer Akt gegen jegliche Literatur, die nicht dem Weltbild der Nationalsozialisten entsprach.

«Der Zweite Weltkrieg war damals gerade einmal 20 Jahre her», erklärt der Historiker Titus Meier. «Darum setzte die Bevölkerung diese Verbrennung in den historischen Kontext und fragte sich: Was kommt als Nächstes?»

Ein älterer Mann mit Hut und Sonnenbrille und ein etwas jüngerer Mann im Anzug stehen nebeneinander und reden.
Legende: Zeitzeuge Peter Müller und Historiker Titus Meier diskutieren vor dem Jugendhaus Piccadilly in Brugg über die Hintergründe der Schundverbrennung in Brugg. SRF

Ein Zeitzeuge blickt heute ebenfalls kritisch auf die Verbrennung zurück. Peter Müller war damals in Brugg an vorderster Front dabei. «Das ging natürlich zu weit», sagt er heute. «Aber damals im jugendlichen Überschwung, dachten wir halt einfach: Das ist ein Spektakel.»

Parallelen zu aktuellen Diskussionen

Auch heute sei die Grundsatzdiskussion, was Jugendliche konsumieren sollen, aktuell, betont Historiker Titus Meier. «Statt um gedruckte Heftchen geht es jetzt einfach um Social Media oder darum, was sich die jungen Menschen im Internet anschauen.»

So zeigte erst kürzlich eine Studie des Forschungsinstituts Sotomo, dass 80 Prozent der Befragten ein Social-Media-Verbot für Jugendliche unter 16 Jahre befürworten oder eher befürworten. Fast gleich viele befürworten ein Handyverbot an Schulen.

Schweiz aktuell, 22.5.2025, 19 Uhr ; 

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