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Bundesstrafgericht Sozialhilfebezüger wegen Terrorfinanzierung angeklagt

Vor Bundesstrafgericht stehen zwei Genfer IS-Sympathisanten albanischer Herkunft. Sie bestreiten die Vorwürfe. Der Fall weist gängige Muster auf.

Familienzulagen kassieren für Kinder, die längst nicht mehr in der Schweiz leben. Sozialhilfe beziehen und gleichzeitig als Taxifahrer arbeiten, ohne es zu melden. Autounfälle vortäuschen und Versicherungsgelder einstreichen. Oder überhöhte Covid-19-Kredite abholen und dann mit diesem Geld eine Terrororganisation finanzieren, die auf dem Balkan einen Islamischen Staat unter der Scharia errichten wollte.

Was die Bundesanwaltschaft zwei Männern aus Genf vorwirft, klingt ziemlich dreist, ist aber kein Einzelfall. Anis Amri beispielsweise, der ein Attentat auf einen Berliner Weihnachtsmarkt beging, legte sich mehrere falsche Identitäten zu und bezog in Deutschland als Asylbewerber Sozialleistungen. Auch Attentäter in Frankreich lebten von Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld, teils legal.

Rund 40 Prozent der Gefährder beziehen verschiedene Sozialleistungen – etwa Sozialhilfe, IV oder Arbeitslosengeld.
Autor: Miryam Eser Departement Soziale Arbeit ZHAW

Dass Sozialleistungen in Terrororganisationen fliessen, ist laut Miryam Eser vom Departement Soziale Arbeit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW auch in der Schweiz nicht aussergewöhnlich. In einer Studie von 2019 konnte sie Daten auswerten, die der Nachrichtendienst über sogenannte Gefährder gesammelt hatte. «Rund 40 Prozent der Gefährder beziehen verschiedene Sozialleistungen – etwa Sozialhilfe, IV oder Arbeitslosengeld», so Eser.

«Sympathisanten des IS» ohne Gewaltabsichten?

Ob sich die Gefährder aus Armut radikalisiert haben oder ob ihre Radikalisierung zu Bedürftigkeit führte, etwa weil sie den Job verloren, konnten die Forschenden mangels Daten nicht klären. Auch zum Thema Sozialleistungsbetrug lagen keine Informationen vor. Ob IS-Sympathisanten gezielt soziale Hilfen anzapfen, um Terror zu finanzieren, hat Eser nicht untersucht. Laut Eser müsste noch mehr geforscht werden, um zu verstehen, warum so viele Radikalisierte staatliche Unterstützung bekommen.

Bundesstrafgericht
Legende: Der Fall am Bundesstrafgericht wirft ein Schlaglicht auf die Tatsache, dass immer wieder Sozialhilfegelder oder Versicherungsleistungen aus westlichen Ländern benutzt werden, um islamistischen Terrorismus zu unterstützen. Keystone / TI-PRESS / CARLO REGUZZI

Dass sie unrechtmässig Leistungen bezogen haben, geben die beiden Genfer zu. Sie betonen jedoch, sie hätten das Geld für sich und ihre Familien gebraucht und damit nicht Terror finanziert. Sie seien höchstens «Sympathisanten des IS» gewesen, direkt unterstützt hätten sie ihn nie, erklärte einer der Angeklagten an der Verhandlung vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona. Die kosovarische Gruppierung «Frères de Viti», für die sie Geld gesammelt hätten, sei keine Terrororganisation.

Hohe Freiheitsstrafen gefordert

Der andere Angeklagte erzählte den Richtern, die gekauften Waffen seien bloss zur Selbstverteidigung des Kosovo gedacht gewesen – etwa, um sich gegen Serbien verteidigen zu können. Eine Absicht zur Gewalt habe es nie gegeben. Zwei harmlose Idealisten also? Die Bundesanwaltschaft sieht das anders. Sie verlangt wegen Betrugs, Terrorunterstützung und weiteren Straftaten neun und neuneinhalb Jahre Gefängnis. Das Urteil wird in den nächsten Wochen erwartet.

Echo der Zeit, 4.11.2025, 18 Uhr; sten

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