Am 1. November 1986 wurden die Menschen in der Region Basel jäh aus dem Schlaf gerissen. Sirenen heulten durch die Nacht.
Der Grund: Ein Grossbrand im Werk der damaligen Chemiefirma Sandoz im Industriegebiet Schweizerhalle. Über der Region lag ein beissender, chemischer Gestank – und niemand wusste, wie gefährlich der Rauch wirklich war.
Erst nach dem Brand wurde bekannt, dass in der Halle hochgiftige Pestizide gelagert waren. Noch erschreckender: Direkt neben dem Brandherd befand sich ein Lager mit Phosgen, einem extrem giftigen Gas. Die Region entging nur knapp einer noch grösseren Katastrophe.
Der Rhein war tot!
Besonders dramatisch waren die Folgen für die Fische im Rhein. Mit Chemikalien versetztes Löschwasser gelangte in den Fluss, der sich rot verfärbte. Zunächst beschwichtigte Sandoz: Die Verfärbung sei harmlos. Doch das erwies sich als fataler Irrtum. Tausende Tiere verendeten.
Heute, fast 40 Jahre später, ist die Wasserqualität im Rhein gut. Das Baden im Fluss hat sich in Basel zu einem Volkssport entwickelt. An heissen Tagen lassen sich Tausende treiben – ein Bild, das ohne die Lehren aus der Katastrophe kaum denkbar wäre. Denn Schweizerhalle markierte einen Wendepunkt im Umwelt- und Sicherheitsbewusstsein der Region.
«Man schaut heute viel genauer hin, weil damals so viel schiefgelaufen ist», sagt Matthias Nabholz, Leiter des Amts für Umwelt und Energie Basel-Stadt. «Der Rhein war damals tot.»
Neue Massnahmen eingeführt
Um ein erneutes Fischsterben zu verhindern und die Trinkwasserversorgung zu schützen, wurde in Basel eine Messstation errichtet. Dort, wo der Rhein die Schweiz verlässt, wird das Wasser alle sechs Minuten auf rund 380 Substanzen hin überprüft.
Auch die Chemiebranche hat Konsequenzen gezogen. «Heute weiss man genau, wo welcher Stoff gelagert ist», erklärt Urs Zimmerli, CEO der Firma Getec, die das Industrieareal betreibt. Rückhaltebecken verhindern, dass kontaminiertes Wasser in den Rhein gelangt. Zudem werden die Abwässer der Betriebe streng überwacht.
Krisenvorsorge heute
Doch wie gut ist die Region heute auf einen ähnlichen Vorfall vorbereitet? Patrick Reiniger, Leiter des Führungsstabs Basel-Land, erklärt: «Denke das Undenkbare und bereite dich vor!»
Im Raum Basel seien da eben nicht nur technische Defekte in der chemischen Industrie denkbar, sondern auch Flugzeugabstürze und Zugunglücke. Was ebenfalls bei der Krisenvorbereitung hilft, sind Lehren aus Vorfällen in anderen Kantonen, aber auch im Ausland.
Bezüglich Chemiesicherheit in der Region Basel zeigt sich Patrick Reiniger zuversichtlich: «Wir sind heute deutlich besser auf Katastrophen vorbereitet. Szenarien wie ein Chemiegrossbrand werden regelmässig geübt.»
Dennoch zeigte ein Zwischenfall in Schweizerhalle im Jahr 2024 Schwächen auf. Zwar wurde über Medien und die App Alertswiss informiert, doch nicht alle Menschen wurden erreicht. Deshalb wird derzeit ein neues Alarmierungssystem über das Handynetz geprüft.
Die Katastrophe von Schweizerhalle hat Behörden und Industrie wachgerüttelt. Doch in der Region ist man sich bewusst: Eine absolute Sicherheit gibt es nicht.
«Ich denke immer wieder an diese Nacht, wenn ich auf der Autobahn bei Schweizerhalle vorbeifahre», sagt ein Zeitzeuge. «Und mir ist klar: Trotz aller Sicherheitsmassnahmen kann so etwas wieder passieren.»