Seit letztem Freitag befinden sich Israel und Iran in einem offenen bewaffneten Konflikt. Auf beiden Seiten sterben Zivilistinnen und Zivilisten. Im Interview erklärt die Politologin und Mitgründerin der Organisation «Free Iran Switzerland», Saghi Gholipour, wie es den Menschen im Iran geht.
SRF News: Sie haben viele Verwandte und Bekannte im Iran. Was sind die Sorgen und Ängste der Menschen vor Ort?
Saghi Gholipour: Die Menschen fühlen sich unsicher und verängstigt. Sie fürchten sich einerseits vor den israelischen Angriffen und andererseits auch vor der Gewalt des Islamischen Regimes. Heute wurden 18 junge Frauen in Mahabad im kurdischen Teil im Nordwesten des Landes verhaftet, weil sie sich auf den Sozialen Medien kritisch zum Krieg geäussert hatten. Wir sehen, wie das Regime den äusseren Druck an die eigene Bevölkerung weitergibt.
Die Menschen stehen zusammen und sind solidarisch.
Sie fürchten also eine zunehmende Repression nach Innen?
Ich fürchte sie nicht nur, wir beobachten sie aktuell. Das Islamische Regime reagiert mit Gewalt an der eigenen Bevölkerung auf den Krieg. Am Montag wurde Esmail Fekri hingerichtet, unter dem Vorwand «Spionage für Israel». Gestern wurde der Bruder des Oppositionellen Hossein Ronaghi verhaftet, der Vater brutal verprügelt. Und heute eben die Verhaftung der jungen Frauen.
Haben die Angriffe bei den Menschen im Iran bisher eher zum Zusammenhalt in der Bevölkerung oder zu einer Spaltung geführt?
Die Menschen stehen zusammen und sind solidarisch. Ich höre Stimmen aus dem Süden des Landes, der bisher noch grösstenteils von den Angriffen verschont wurde, die die Teheranerinnen und Teheraner zu sich einladen. Sie sagen: Ihr seid jederzeit bei uns willkommen, wir kümmern uns um euch. Diese Nachricht habe ich heute etwa von der Familie von Kian Pirfalak gesehen, der kleine Junge, der im November 2022 vom Regime im Zuge der Frau-Leben-Freiheit-Proteste getötet wurde. Gleichzeitig ist die Infrastruktur im Norden des Irans komplett überlastet.
Israels Premierminister Netanjahu hat auch das iranische Volk adressiert und es aufgefordert, das Regime von innen zu stürzen. Wie reagieren die Menschen im Iran darauf?
Die Menschen im Iran arbeiten schon lange daran, das Regime zu stürzen. Sie sind sich bewusst, dass ein Regimewechsel von aussen nicht funktionieren kann. Diese Aufforderung wird angesichts der täglichen Raketenangriffe als äusserst zynisch wahrgenommen.
Welche Szenarien gäbe es für den Iran nach dem Sturz? Eine Militärdiktatur, eine Demokratie oder der komplette Zusammensturz?
Es gibt alle Szenarien. Es gibt Gerüchte über Militärs und Angehörige der Revolutionsgarde, die sich auf einen Putsch vorbereiten. Es könnte zu Anarchie und Chaos kommen. Wie es möglich ist, nach dieser massiven Zerstörung – auch der Zivilgesellschaft – gleich eine Demokratie aufzubauen, muss die Zeit zeigen.
Könnte das Land zu einer noch grösseren geopolitischen Gefahr werden?
Die geopolitische Gefahr wird vom Westen seit Jahren als Vorwand vorgeschoben, um die Demokratiebewegung in Stich zu lassen – wie wir im Frühling 2023 beobachten konnten. Es würde mich überraschen, wenn der Westen sich jetzt anders verhalten würde.
Wie geht es in den kommenden Wochen weiter in Iran. Was sind Ihre Prognosen und was sind Ihre Hoffnungen?
Mein Traum ist, dass der Krieg so rasch als möglich beendet wird, Frieden herrscht und dieses verbrecherische Regime endlich verschwindet. Ich fürchte aber, dass sich dieser Traum in den kommenden Wochen nicht realisieren lässt.
Das Gespräch führte Mirjam Weidmann.