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Corona doch nicht das Motiv? Fall Berger: Entführer hatte Geld-Probleme, befolgte Covid-Regeln

Hinter der Entführung des Impf-Präsidenten Christoph Berger wurden zunächst politische Motive vermutet. Laut Berger selbst war das Motiv aber Geld. Die finanzielle Situation des Täters nährt diesen Verdacht. Zudem befolgte der spätere Entführer Corona-Massnahmen.

Das Motiv im Entführungsfall Berger ist weniger klar, als es zu Beginn schien. Der Präsident der Eidgenössischen Impfkommission war letzte Woche gemäss Ermittlungen von einem 38-Jährigen Deutschen entführt worden. Dieser wurde am Mittwoch von der Zürcher Polizei erschossen. Auch seine 28-jährige Freundin starb dabei – getroffen von einer Kugel aus seiner Waffe.

Da ein enger Geschäftspartner des mutmasslichen Täters an Corona-Demonstrationen teilnahm, lag der Verdacht nahe, die Entführung Bergers sei politisch motiviert gewesen. Berger selbst wandte sich aber am Sonntag mit einer Erklärung an die Medien, in der er schrieb, «dieses Narrativ» widerspreche seinem «persönlichen Empfinden während der Entführung». Stattdessen habe der Mann Geld von ihm verlangt – und keinen Bezug zu seinem Amt als Impf-Präsident gemacht.

Mutmasslicher Entführer bestand auf Masken und Abstand

Recherchen von «SRF Investigativ» weisen auf mögliche finanzielle Probleme des 38-jährigen Deutschen hin – und stellen infrage, inwiefern er tatsächlich ein Corona-Skeptiker war.

Gemäss Informationen von SRF kümmerte sich der mutmassliche Täter mindestens in einem geschäftlichen Kontext darum, dass Corona-Massnahmen eingehalten wurden. Bei einer Werbeaufnahme für sein Start-Up-Unternehmen soll der 38-Jährige peinlichst genau darauf geachtet haben, dass nur Bilder verwendet werden, auf denen die geltenden Bestimmungen beachtet wurden. Das heisst: Der mutmassliche Entführer Bergers setzte durch, dass auf den Bildern Abstand gehalten und Maske getragen wird. Das sagte eine involvierte Person zu «SRF Investigativ».

Dem «Tages-Anzeiger» erzählte ein Geschäftspartner hingegen, der 38-jährige habe ihm bei einem ersten Geschäftstreffen ungefragt gesagt, dass er nicht geimpft sei. Mehrere Personen hätten von seiner Corona-kritischen Haltung gesprochen, so die Zeitung.

Bergers Mitteilung im Wortlaut

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Persönliche Mitteilung von Christoph Berger an die Medien

«Ich bin letzte Woche Opfer der Entführung im Kanton Zürich geworden, über die in verschiedenen Medien berichtet wurde.

Das Medium, das meinen Namen als Opfer der genannten Straftat publiziert hat, brachte diese Straftat mit meiner Rolle als Präsident der Impfkommission in Verbindung. Dieses Narrativ widerspricht meinem persönlichen Erleben während der Entführung. Gleichzeitig sind mir die grossen emotionalen und gesellschaftlichen Spannungen bewusst, die Impffragen in den letzten beiden Jahren erhalten haben.

Gerne mache ich Ihnen einige Angaben zum Tatablauf. Auf Anraten von Polizei und Staatsanwaltschaft lasse ich dabei bestimmte Details weg, auch wenn diese für Sie vielleicht interessant sein könnten.

Der mir bis dahin unbekannte Täter hatte mich eine gute Stunde in seiner Gewalt. Er hat mich in dieser Zeit mit der Forderung eines substanziellen Geldbetrags konfrontiert. Diese Forderung hat er mit Drohungen verknüpft, was passieren könnte, wenn ich der Forderung nicht innert der von ihm genannten Frist nachkäme. Es standen also einzig wirtschaftliche Interessen des Täters im Vordergrund. Bezüge zu meiner Rolle als Präsident der Impfkommission machte der Täter dabei nicht. Nachdem ich dem Täter die Erfüllung seiner Forderung zugesichert hatte, liess er mich wieder frei. Ich habe mich danach sofort mit der Kantonspolizei in Verbindung gesetzt, die mich und meine verängstigte Familie seither sehr gut betreut. Der Schutz meiner Familie stand in dieser Phase und selbstverständlich auch jetzt noch für mich an erster Stelle.

Über diese Angaben hinaus werde ich mich zu diesem Vorfall mindestens bis zum Abschluss der Strafuntersuchung nur gegenüber den Strafverfolgungsbehörden äussern. Medienschaffenden gebe ich auch dann keine Auskünfte zum Vorfall, wenn ich ihnen im privaten Kontext oder bei Ausübung meiner beruflichen Funktion begegne.

In diesem Sinne bitte ich Sie, meine und die Privatsphäre meiner Familie zu respektieren. Damit verbunden ist auch die Hoffnung, dass Sie in Ihrer Berichterstattung weiterhin meinen Namen und mein Bild nicht oder nur mit grosser Zurückhaltung verwenden, auch ohne, dass ich dafür die Gerichte bemühen müsste. Ihre Reaktion auf den Erlass der superprovisorischen Verfügung gegenüber dem erstberichtenden Medium bestärkt mich in dieser Hoffnung.»

Finanziell lief es für den Deutschen offenbar nicht gut. Sein Start-Up bestand aus einer App für Nachbarschaftshilfe. Gemäss «Tages-Anzeiger» konnte das Unternehmen aber monatelang Rechnungen nicht bezahlen.

Recherchen bestätigen dieses Bild. Eine Person, die mit dem Unternehmen geschäftlich verbunden war, sagt über das Start-Up: «Die haben kein Geld damit verdient.»

Seit der Gründung habe der 38-Jährige immer wieder zuvor deutlich üppiger veranschlagte Budgets gekürzt. Offenbar, weil weniger Geld von Investoren hereinkam als erwartet.

Noch wenige Stunden vor seinem Tod war er auf Investoren-Suche. In einer E-Mail von seinem Todestag berichtete er davon, dass er in Gesprächen mit möglichen Investoren sei.

Mehr Schein als Sein?

Auf Social-Media-Kanälen stellte sich der 38-Jährige als aufstrebender Start-Up-Gründer mit gehobenem Lebensstil dar. Mit seiner 28-jährigen Freundin bewohnte er ein schickes Loft im 14. Stock eines neu gebauten Hochhauses in Wallisellen.

Das war ein Aufstieg gewesen. Bis vor einiger Zeit mietete der Deutsche noch eine Wohnung in einem grauen, sanierungsbedürftigem Wohnblock. Auf dem Klingelschild steht immer noch sein Name. Dort bewohnte der 38-Jährige ein 1-Zimmer-Studio-Apartment. Gemäss Informationen von SRF gab er gegenüber jemanden aus seinem Umfeld ausserdem letztes Jahr an, er wolle sich als Privatchauffeur versuchen.

Die Polizei verhaftete mittlerweile den Geschäftspartner des Deutschen. Er hatte im Internet eine Verschwörungstheorie vertreten, gemäss der die Erde eine Scheibe sei. Seine mögliche Tatbeteiligung ist unklar. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Echo der Zeit, 10.04.2022, 18:00 Uhr

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