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Corona-Fälle in der Schweiz Forscher ist vorsichtig optimistisch

Epidemiologe Richard Neher von der Universität Basel hat für SRF drei Szenarien möglicher weiterer Verläufe berechnet.

Das Wichtigste in Kürze

  • Nach dem optimistischen Szenario hätten wir den Höhepunkt dieser Tage bereits erreicht, es wäre aber in den folgenden Wochen und Monaten mit bis zu 1000 Todesopfern zu rechnen
  • Im pessimistischen Szenario würde der Scheitelpunkt Ende April überschritten, mit rund 750'000 gleichzeitig erkrankten Personen und in der Folge bis zu 100'000 Toten
  • Epidemiologe Richard Neher hält ein mittleres Szenario derzeit für wahrscheinlich, mit einem Höhepunkt an über 64'000 Erkrankten ungefähr Ende Mai und später über 22'000 Toten

Am Montag sind es zwei Wochen, seit der Bundesrat die «ausserordentliche Lage» erklärt hat. Spätestens seit diesem Tag befindet sich die Schweiz im Ausnahmezustand.

Bereits läuft die politische Debatte über eine mögliche Rückkehr zu Normalität. Dies, obwohl noch unklar ist, was noch auf die Schweiz zukommt. Wie werden sich die Fallzahlen in den kommenden Wochen entwickeln? Wie stark wird das Gesundheitssystem belastet? Wie viele Todesfälle sind zu befürchten?

Seriöse Wissenschafter hüten sich, Prognosen zu verkünden – was aber dank einer wachsenden Menge von Erfahrungsdaten von Ausbrüchen rund um den Globus immer besser wird, ist die Berechnung von Szenarien. Einer der führenden Wissenschafter, die ihre Modelle derzeit täglich verfeinern, ist Richard Neher von Biozentrum der Universität Basel.

Biophysiker Neher, der sich hauptsächlich mit der Verbreitung von Viren befasst, hat für SRF basierend auf den jüngsten Fallzahlen drei mögliche Szenarien entwickelt, wie die Corona-Krise in der Schweiz weiter verlaufen könnte.

Das pessimistische Szenario

Grafik: Das pessimistische Szenario.
Legende: SRF

Basis des Szenarios ist die Annahme, dass die sukzessiv verschärften behördlichen Massnahmen eine nur geringe Wirkung haben: hier eine Reduktion der Übertragungsrate des Virus um zwanzig Prozent.

Der Höhepunkt der Welle an gleichzeitig erkrankten Personen wäre demnach Ende April erreicht und würde bei fast 750'000 Erkrankten liegen, ein Teil davon schwer.

Dabei ist zu beachten, dass dies nicht der Gesamtzahl der kumulierten Fälle entspricht. Neher berechnet den Wert der akut Erkrankten deshalb, weil damit Aussagen über die mögliche Belastung des Gesundheitswesens zu einem bestimmten Zeitpunkt gemacht werden können.

Im pessimistischen Szenario läge die Zahl der Toten Ende April bei rund 16'800 Menschen und würde in der Folge dann auf fast 100'000 steigen. Sie hängt gemäss Neher stark von der Schwere der Infektionen ab.

Nachdem der Scheitelpunkt der Zahl akut Erkrankter hier im Ende April erreicht wäre, würde sie danach relativ wieder rasch sinken.

Das mittlere Szenario

Grafik: Das mittlere Szenario.
Legende: SRF

Hier nehmen die Forschung von Nehers Team an, dass die Übertragung des Virus durch die Massnahmen um 60 Prozent gebremst werden konnte. Trotzdem würde die Zahl der Infektionen weiter ansteigen, der Höhepunkt der akut erkrankten Personen wäre Mitte Mai erreicht, ihre Zahl läge bei gut 64'000. Bis zu jenem Zeitpunkt wäre über 6500 Tote zu beklagen, die Zahl stiege dann aber auf über 22'000 an.

Der grosse Unsicherheitsfaktor aller Szenarien ist laut Neher die Dunkelziffer von infizierten Personen, also jenen Menschen, die das Virus tragen – und während einer bestimmten Zeit auch weiterverbreiten –, aber keine oder nur milde Symptome zeigen und nach heutiger Praxis auch nicht getestet werden.

Diese Dunkelziffer zu klären ist das Forschungsziel etlicher Wissenschafter weltweit, darunter auch dem Schweizer Adriano Aguzzi vom Universitätsspital Zürich.

Neher hält dieses mittlere Szenario derzeit für wahrscheinlich, dies aufgrund der letzten Fallzahlen.

Das optimistische Szenario

Grafik: Das optimistische Szenario
Legende: SRF

Im besten Fall würden nach Nehers Berechnung die behördlichen Massnahmen zu einem Rückgang der Virus-Übertragung von 80 Prozent führen, damit hätten wir bereits heute den Scheitelpunkt erreicht. Die Zahl der Erkrankten läge gemäss dem Modell-Szenario bei über 7000. Dies entspricht wohlgemerkt nicht den behördlichen bestätigen effektiven Zahlen, sondern der Modell-Rechnung. Darin enthalten sind auch Personen, die nur milde Symptome zeigen und diese gar nicht als Corona-Erkrankung wahrnehmen und entsprechend auch nicht getestet wurden.

Im Laufe dieser Entwicklung würden in den kommenden Wochen und Monaten knapp 1000 Personen an den Folgen einer Corona-Erkrankung erliegen.

Selbst in diesem optimistischen Szenario wäre klar, dass die Gefahr keinesfalls ganz gebannt und schon in kurzer Zeit wieder «courant normal» einkehren könnte, betont Neher. Es sei weiter wichtig, die behördlichen Massnahmen strikte einzuhalten. Zudem gälte es sodann, neue Ausbrüche zu verhindern.

Tagesschau, 29.3.2020, 19:30 Uhr

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