Ein Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie hat die Schweizer Bevölkerung genug von den einschränkenden Massnahmen. Das zeigt die neuste Umfrage der SRG zum Umgang mit dem Virus. Psychotherapeutin Yvik Adler erklärt, was den Menschen besonders zusetzt.
SRF News: Gemäss der Sotomo-Umfrage befindet sich unser Gemütszustand derzeit auf einem neuen Tiefpunkt. Wie erklären Sie sich das?
Yvik Adler: Der Bevölkerung geht es jetzt wirklich an die Substanz, das beobachten wir auch in den Praxen. Nach diesem langen Winter fehlt es einfach an einer klaren Perspektive, die Leute sind ermüdet. Das Ganze geht schon sehr lange.
Was fehlt den Leuten denn konkret?
Zum einen setzen uns die Kontaktbeschränkungen sehr zu, denn wir Menschen sind soziale Wesen. Wir brauchen menschlichen Kontakt, auch körperlichen Kontakt. Zum andern ist es aber nun sicher auch die Eintönigkeit unseres Lebens, die uns zu schaffen macht. Die kleinen Dinge, die unser Leben färben und uns erfreuen: der Besuch im Café, das Feierabend-Bier, das Fitness-Center – das sind Dinge, die Abwechslung schaffen. Vieles ist nun nicht möglich, und das schon so lange Zeit.
Dieser «Täglich grüsst das Murmeltier»-Modus, bei dem jeder Tag gleich beginnt, zum Teil auch mit düsteren Nachrichten zu steigenden Zahlen und einer möglichen dritten Welle – das ist auf Dauer ganz schwierig zu ertragen.
Was uns ausmacht, ist, dass wir selber entscheiden können, wie wir unser Leben gestalten möchten.
Spielt die fehlende Spontaneität auch eine Rolle?
Absolut. Wir vermissen dieses sorglose Leben, wo man einfach spontan entscheiden und etwas unternehmen kann. Und natürlich sind wir Menschen nicht für Fremdbestimmtheit geschaffen. Was uns ausmacht, ist, dass wir selber entscheiden können, wie wir unser Leben gestalten möchten. Die Selbstbestimmung fehlt uns.
Zudem wird unser Leben auch komplizierter: Plant man zum Beispiel eine Einladung, führt das gleich zu Fragen betreffend Anzahl Personen, Abstand oder Masken. Es entstehen Diskussionen und das führt teilweise zu Zerwürfnissen. Es wird anspruchsvoller.
Einerseits wollen die Leute den Massnahmen der Regierung vertrauen, gleichzeitig nun aber rasch öffnen. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?
Das gehört zur menschlichen Grundexistenz. Man nennt das Ambivalenz. Es ist das Dilemma, in dem wir leben. Das, was für die Eindämmung der Pandemie gut ist, ist nicht unbedingt gut für unsere menschliche Psyche. Das reibt sich, und das macht es ebenfalls sehr anspruchsvoll und anstrengend.
Es geht letztendlich um Hoffnung – Hoffnung auf ein unbeschwerteres, glücklicheres Leben.
Was ist denn ein gutes Leben?
Das gute Leben ist ein abwechslungsreiches Leben, wo wir spontan mal was machen können, ohne zu überlegen, was man darf und was geht. Das ist unser menschliches Grundbedürfnis, und das fehlt uns jetzt. Die Einschränkungen, die Dauer der Pandemie sowie die Perspektivlosigkeit setzen uns zu. Wann geht es endlich wieder in Richtung eines normalen Lebens oder wenigstens in eine neue Normalität? Es geht letztendlich um Hoffnung – Hoffnung auf ein unbeschwerteres, glücklicheres Leben.
Das Interview führte Mirjam Spreiter.