Es gibt sie, die Whistleblower, die schlicht einen Missstand aufdecken wollen. Doch wenn Informationen aus dem Bundesrat an die Öffentlichkeit gelangen, steht dahinter meist eine Person mit einer klaren Absicht. Oft sind Informationslecks gar Teil einer Kommunikationsstrategie. «Die gezielte Indiskretion ist ein Werkzeug, das jeder Kommunikationschef in seinem Repertoire hat», so der Kommunikationsberater Patrick Senn in der SRF-Sendung Club.
Gerade im Bundeshaus suchten Journalisten wie Politikerinnen eine gewisse Nähe: Die Journalistinnen hoffen auf eine brisante Geschichte, die Politiker auf Öffentlichkeit. «Wenn ich bei einem Medium mit einer gewissen Reichweite arbeite, kommen die Politiker automatisch auf mich zu», sagt der ehemalige Journalist Patrick Senn. So lassen die Kommunikationschefinnen die Anträge aus dem eigenen Departement öfters Journalisten ihrer Wahl zukommen.
Den Bundesrat unter Druck setzen
Auffällig oft geschah dies während der Hochphase der Pandemie. Laut FDP-Ständerat Andrea Caroni kann dies verschiedene Gründe haben. «Wenn ein Bundesrat befürchtet, bei einem Entscheid mit seinen Ideen zu unterliegen, kann er mit einem Leak durchschimmern lassen, dass er anderer Meinung war», so Caroni. «Oder man kann die öffentliche Meinung schon auf seine Mühle lenken und den Bundesrat mit dieser unter Druck setzen.»
Man nimmt die Kollegen quasi in Geiselhaft.
Wenn die Medien in eine bestimmte Richtung Stimmung machten, steige der Druck, ebenso zu entscheiden. «Man nimmt die Kollegen quasi in Geiselhaft: Befürwortet, was ich beantrage, ansonsten leidet unsere Glaubwürdigkeit als Gremium.»
Dies sei in der Coronakrise «systematisch» betrieben worden, befindet Mitte-Ständerat Benedikt Würth. «Man will mit solchen Leaks im Vorfeld den Entscheid des Bundesrates beeinflussen.» Die öffentliche Meinung sei in der Corona-Zeit oft vorgängig eingespurt worden.
«Am Montag berichteten die Medien über einen neuen Vorschlag aus dem Innendepartement, am Dienstag gaben noch die Experten der Taskforce ihre Meinung dazu. Wenn der Bundesrat am Mittwoch zusammen trat, war der Druck gross, der bereits gefestigten öffentlichen Meinung zu folgen. Ansonsten hätte man den Gesundheitsminister desavouiert.» Dies wäre mitten in einer Gesundheitskrise schwierig gewesen. «Die Schlagzeile am Donnerstag wäre gewesen: Der Bundesrat lässt den Gesundheitsminister auflaufen.»
Den eigenen Chef profilieren – oder Versuchsballons starten
In der Corona-Zeit seien Indiskretionen aber auch verwendet worden, um «Versuchsballons» zu starten, also die Akzeptanz gewisser Massnahmen in der Öffentlichkeit zu testen. «Da war etwa die Idee einer Prämie für alle, die sich impfen lassen», sagt Kommunikationsberater Patrick Senn. «Ich erachte es als durchaus wahrscheinlich, dass man diese Idee erst mal an einen Journalisten durchsickern liess. Der darauf folgende Aufschrei in der Öffentlichkeit führte dazu, dass man von der Idee abliess.»
Verwerflicher, als die Ideen aus dem eigenen Departement zu leaken, sei es, die Anträge und Geschäfte von anderen Departementen vorzeitig den Medien zuzuspielen. «Gerade in einem Wahljahr kann man damit andere Bundesräte schlecht aussehen lassen und die eigene Macht damit festigen», so Patrick Senn. Auch im Falle der Corona-Leaks um Alain Berset und dessen ehemaligen Kommunikationsberater stelle sich die Frage, wer davon profitierte.